Leipziger KUBUS | Saal 1B
Zeit:
Donnerstag, 13.11.2025
11:00 – 12:30 Uhr
Thematische Session 4.2
Transformation der Ernährungssysteme gemeinsam gestalten: Transdisziplinäre und partizipative Forschung für Nachhaltigkeitstransformationen in der regionalen Nahrungsmittelversorgung
Zum Abstract →
Vorträge
Leimkühler, Melissa; Schröter, Barbara; Specht, Kathrin; Koch, Ann-Kristin; Iodice, Chiara & Hieber, Katharina
Partizipative Soziale Netzwerkanalyse zur Transformation städtischer Ernährungssysteme am Beispiel des Living Labs Weltacker in Dortmund
Zum Abstract →
Rzepucha-Hlubek, Katharina; Langer, Felix & Ufert, Marie
Citizen Social Science im Strukturwandel: Einblicke in partizipative Ernährungsforschung
Zum Abstract →
Zoll, Felix & Schühle, Florian
U Cycle: Ebnet Citizen Science den Weg für urinbasierte Düngemittel?
Zum Abstract →
Reale, Filippo Gian-Antonio & Morais, Mariana
„Sensing Politics“ im „Participatory Turn“: Erfahrungen von Teilnahme und Teilhabe im Bürgerrat „Ernährung im Wandel“
Zum Abstract →
Wendeberg, Eva; Laborgne, Pia; Wieczorek, Wanda; Epp, Amelie & Pfeifer, Hanna
Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsbewertung am Beispiel nachhaltiger Nahrungsmittelversorgungsketten
Zum Abstract →
Bürker, Franziska & Laborgne, Pia
Transformation der Gemeinschaftsverpflegung: Nachhaltigkeit bewerten, Innovationen umsetzen, Wandel begleiten
Zum Abstract →
Thematische Session 4.2
Bürker, Franziska; Specht, Kathrin; Wendeberg, Eva; Priefer, Carmen; Koch, Ann-Kristin; Laborgne, Pia & Wieczorek, Wanda
Transformation der Ernährungssysteme gemeinsam gestalten: Transdisziplinäre und partizipative Forschung für Nachhaltigkeitstransformationen in der regionalen Nahrungsmittelversorgung
Unsere Ernährungssysteme – angefangen bei der Produktion, Verarbeitung, Vermarktung über den Konsum bis hin zur Entsorgung von Lebensmitteln – haben
sowohl multiple negative Auswirkungen auf unsere Umwelt (biologische Vielfalt, Wasser, Boden) und das Klima als auch auf soziale Dimensionen, z. B. in Bezug auf
Arbeitsbedingungen und den Zugang zu gesunden Nahrungsmitteln. Für ihre Transformation wird ein gutes Zusammenspiel und Engagement vieler unterschiedlicher Akteur:innen entlang der Wertschöpfungsketten benötigt.
Viele Pionier:innen sind mit verschiedenen Ansätzen aktiv, die eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion und Ernährung fördern. Dazu gehört auch die Stärkung regionaler Strukturen der Ernährungswirtschaft und die Förderung von KMUs durch
kooperative Strukturen und innovative Geschäftsmodelle, sowie die Etablierung einer Kreislaufwirtschaft, um Rest-und Abfallstoffe aus dem Ernährungssystem weiter nutzen zu können. Transdisziplinäre Kooperationen haben eine hohe Relevanz, um die verschiedenen Interaktionen und Verzahnungen der diversen Akteur:innen und ihrer jeweiligen Handlungsräume innerhalb der Ernährungssysteme zusammen zu bringen, zu erforschen und Herausforderungen gemeinsam anzugehen. Dabei
kommen unterschiedliche Methoden, Ansätze und Forschungsrahmen zum Einsatz und oftmals liegt der Fokus auf dem Zusammenbringen der relevanten Praxisakteur:innen, der Netzwerkarbeit und Formulierung von Governance- und Steuerungsmaßnahmen sowie der Etablierung von Institutionen (z. B. Ernährungsräte). Die Session wird vom Institut für Landes und Stadtentwicklungsforschung (ILS), dem Max-Rubner-Institut (MRI) sowie dem Karlsruher Transformationszentrum für Nachhaltigkeit und Kulturwandel (KIT-ITAS) gemeinsam organisiert und lädt insbesondere zu Beiträgen und Austausch zu folgenden Fragestellungen transdisziplinärer und partizipativer Forschung im Transformationsfeld Ernährung ein:
– Wie können lokale/regionale Netzwerke und
Kooperationen aufgebaut und gestärkt
werden und zu Nachhaltigkeitstransformationen beitragen?
– Wie kann transdisziplinäre Forschung die Entwicklung nachhaltiger
Geschäftsmodelle begleiten und unterstützen?
– Wie können lokale Governance-Strukturen für nachhaltige
Ernährungssysteme und bioregionale sowie zirkuläre
Wertschöpfungsketten aufgebaut bzw. weiterentwickelt und
wissenschaftlich begleitet und unterstützt werden?
Welche guten Projektbeispiele gibt es aus der gemeinsamen Forschung im Transformationsfeld Ernährung?
Die Session wird eingeleitet durch einen übergreifenden Lightning Talk, gefolgt von Fachvorträgen und einer abschließenden Diskussion anhand von Leitfragen. Neben Austausch ist das Ziel der Session, Wissenschaftler*innen und Teilnehmende aus der Praxis zu vernetzen.
Abstracts
Leimkühler, Melissa; Schröter, Barbara; Specht, Kathrin; Koch, Ann-Kristin; Iodice, Chiara & Hieber, Katharina
Partizipative Soziale Netzwerkanalyse zur Transformation städtischer Ernährungssysteme am Beispiel des Living Labs Weltacker in Dortmund
Die Transformation städtischer Ernährungssysteme erfordert ein tiefes Verständnis der sozialen Dynamiken zwischen Akteuren aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Ernährungswirtschaft. Das Net-Map-Tool ist ein partizipatives Instrument der sozialen Netzwerkanalyse, das Beziehungen, Machtverhältnisse und Kommunikationsstrukturen sichtbar macht. Durch seine visuelle und dialogische Herangehensweise fördert es Lernprozesse und gemeinsame Zieldefinitionen.
Das Net-Map Tool kombiniert qualitative Interviews mit der Visualisierung von Netzwerken und quantitativer Auswertung zentraler Strukturmerkmale. Dabei werden bestehende sowie gewünschte Beziehungen, Konflikte und Einflussstärken und Rollen der Akteure erfasst, wodurch gezielt Handlungsoptionen zur Stärkung lokaler Governance abgeleitet werden können.
Das Tool wurde bereits in mehreren europäischen Städten eingesetzt, unter anderem zur Analyse des Ernährungsnetzwerks der Stadt Dortmund. Aufbauend auf diesen Erfahrungen ist die Anwendung künftig auch im Kontext des entstehenden Living Lab Netzwerks rund um den geplanten Weltacker in Dortmund vorgesehen. Dieses versteht sich als Reallabor für nachhaltige Ernährungstransformation, in dem verschiedene Akteure neue Formen der Zusammenarbeit erproben. Ziel ist es, relevante Netzwerkzusammenhänge zu erfassen und darauf aufbauend partizipative Governancemodelle weiterzuentwickeln. So leistet das Net-Map-Tool einen wertvollen Beitrag zur Förderung transparenter Entscheidungsprozesse und zur Entwicklung resilienter, zukunftsfähiger Ernährungssysteme auf lokaler Ebene.
Rzepucha-Hlubek, Katharina; Langer, Felix & Ufert, Marie
Citizen Social Science im Strukturwandel: Einblicke in partizipative Ernährungsforschung
Um Ernährungssysteme gemeinsam neu zu gestalten, ist die Partizipation verschiedener regionaler Akteur:innen unabdingbar. Im Rahmen des Projekts „MehrWertRevier“ haben die Verbraucherzentrale NRW und die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ein Citizen Social Science Projekt durchgeführt. Dabei wurde gemeinsam mit jungen Erwachsenen sowie Engagierten aus Ernährungsinitiativen (Ernährungsräte, Solidarische Landwirtschaft und Slow Food) zu den Themen Ernährungskompetenzen und -informationen geforscht. Ziel war es, die gewonnen Ergebnisse für die Arbeit der Initiativen sowie der Verbraucherzentrale zu nutzen, um nachhaltige Ernährung in der Strukturwandelregion „Rheinisches Revier“ zu fördern.
Die jungen Erwachsenen dokumentierten mithilfe der Photovoice Methode Alltagssituationen, in denen sie auf neue Informationen zum Thema Ernährung stoßen. Mit den Engagierten wurde gemeinsam ein Fragebogen für eine repräsentative Befragung erarbeitet. Dabei wurde zum einen die Ernährungskompetenz in der Zielregion „Rheinisches Revier“ erfasst, zum anderen konnten die Engagierten Fragen integrieren, die im Hinblick auf die Arbeit ihrer Initiativen relevant sind.
Den Abschluss des Forschungsprojekts bildete eine Dialogveranstaltung, bei der die Ergebnisse gemeinsam mit regionalen Stakeholdern (u. a. Kommunen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft) diskutiert und mögliche Ansätze für die Verbreitung von nachhaltiger Ernährung in der Strukturwandelregion erarbeitet wurden. In unserem Fachvortrag möchten wir das Projekt vorstellen und insbesondere auf das methodische Vorgehen und die Zusammenarbeit mit den Engagierten eingehen.
Zoll, Felix & Schühle, Florian
U Cycle: Ebnet Citizen Science den Weg für urinbasierte Düngemittel?
Die Herstellung synthetischer Düngemittel ist energieintensiv und ressourcenaufwendig, während wertvolle Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor ungenutzt im Abwasser verloren gehen. Urinbasierte Recyclingdünger könnten diese Stoffkreisläufe schließen – sind in Deutschland jedoch bislang weder zugelassen noch erprobt.
Im Citizen Science Projekt U-Cycle testeten deshalb über 150 Hobbygärtner*innen einen neuartigen urinbasierten Dünger (C.R.O.P.®) unter Realbedingungen. In zwei vergleichbaren Beeten – eines mit C.R.O.P.®, eines mit üblicher Düngung – dokumentierten sie Wachstum und Ernteerträge. Die Ergebnisse implizieren eine Steigerung des Ernteertrags im Vergleich zur üblichen Düngepraxis. Der Dünger ist dabei besonders geeignet fehlenden Stickstoff zu liefern und Überdüngung mit Phosphor und Kalium zu vermeiden.
Im Verlauf des Projekts hat sich die Einstellung gegenüber urinbasiertem Dünger bei über der Hälfte der Teilnehmenden positiv verändert. Zudem wurden bestehende Bedenken abgebaut, vor allem in Bezug auf Geruchsbildung und negative Auswirkungen auf die Bodengesundheit. Während die Mehrheit nach den gesammelten Erfahrungen den Dünger weiterverwenden würde, lehnen dies ca. 25 % ab. Insgesamt ist die Bereitschaft einen aufbereiteten urinbasierten Dünger zu nutzen etwas höher als bei der Nutzung eigenen Urins.
U-Cycle macht durch partizipative Forschung technische Innovation erlebbar und mit den Teilnehmenden als Multiplikator*innen in der Gesellschaft sichtbar. Dadurch kann das Projekt zum Aufbau zirkulärer Wertschöpfungsketten beitragen.
Reale, Filippo Gian-Antonio & Morais, Mariana
„Sensing Politics“ im „Participatory Turn“: Erfahrungen von Teilnahme und Teilhabe im Bürgerrat „Ernährung im Wandel“
Derzeit entdecken in einem participatory turn die öffentliche Wissenskommunikation und die Ressortforschung—und insbesondere die regulative Risikokommunikation—partizipative Wissenserzeugung für sich. Sie verspricht (a) die Multiplikation von Wissen und größere Sensibilität für gegenwärtige gesellschaftliche Risiken in der Bevölkerung, (b) eine größere Vielfalt an Lösungsansätzen in der Risikobewertung, aber auch in der Governance von Nachhaltigkeitstransformation insgesamt, und (c) größeres Vertrauen in öffentliche Pro-zesse und Organisationen, gerade im Risikomanagement. Im Kontext dessen präsentiert der Vortrag eine Eth-nografie zum ersten Bürgerrat „Ernährung im Wandel“, der 2023 vom Bundestag eingerichtet und 2024 abgeschlossen wurde. Die Studie rekonstruiert diesen paradigmatischen Fall von public engagement in der Risikokommunikation und in der Governance des deutschen Ernährungssystems vom Standpunkt seines sozialen und materiellen Arrangements aus. Das Forschungsinteresse lautet, wie sich über materielle und räumliche Anord-nungen unterschiedliche Dynamiken von Inklusion, von Anwesenheit und Aufmerksamkeit, des Sprechens und des Hörens, und damit unterschiedliche Erfahrungen der Teilnahme bei den Teilnehmenden entfalten. Aus der qualitativen, verstehenden Untersuchung lassen sich weitreichende Schlüsse ziehen, welche einschlägigen und neuen Dimensionen von Inklusion und Teilhabe Bürgerräte realisieren können und wo weiterer Handlungsspielraum besteht. Gleichzeitig entsteht Spielraum für die Diskussion neuer und bewährter partizipativer Formate als Ergänzung oder Alternative an der Schnittstelle von Wissenschaft, Gesellschaft und Politik.
Wendeberg, Eva; Laborgne, Pia; Wieczorek, Wanda; Epp, Amelie & Pfeifer, Hanna
Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsbewertung am Beispiel nachhaltiger Nahrungsmittelversorgungsketten
Wie kann transdisziplinäre und transformative Forschung den Wandel zu einem nachhaltigeren Konsum- und Produktionssystem unterstützen?
Angesichts globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenmangel sowie ökologischer und sozialer Ungerechtigkeit ist das Verständnis und die Förderung nachhaltiger Praktiken in Konsum, Produktion und Vertrieb essenziell.
2023 startete das Belmont Forum das Forschungsprogramm „Sustainable Consumption and Production Systems (SCP) 2022“ mit sieben internationalen Projekten. Eines davon ist „Co-SFSC – Co-Creation nachhaltiger Transformationen von Lebensmittelversorgungsketten durch kooperative Geschäftsmodelle und Governance“. Es koordiniert transdisziplinäre und transformative Forschung zu nachhaltigen lokalen und regionalen Lebensmittelversorgungsketten in fünf „Hubs“ mit Teams in der Türkei, Thailand, Taiwan, Schweden, Deutschland und den USA.
Zunächst wurde der Status quo bestehender Versorgungsstrukturen erhoben, um darauf aufbauend nachhaltigere Modelle zu entwickeln. Der Beitrag stellt die transdisziplinäre Nachhaltigkeitsbewertung im Projekt vor – mit Fokus auf den transdisziplinären Prozess und die Bewertung der Auswirkungen von Interventionen in den „Hubs“.
Dabei werden die Bedeutung der Einbindung von Interessengruppen über den gesamten Prozess sowie Strategien zur Förderung der Zusammenarbeit beleuchtet.
Zentrale Fragen sind: Wie trägt die Nachhaltigkeitsbewertung zur Transformation von nachhaltigen Lebensmittelsystemen bei? Inwieweit sind Praxispartner:innen eingebunden? Was sind ihre Bedürfnisse, Herausforderungen und Potenziale? Welche Unterstützung kann ihnen die transdisziplinäre Forschung bieten?
Bürker, Franziska & Laborgne, Pia
Transformation der Gemeinschaftsverpflegung: Nachhaltigkeit bewerten, Innovationen umsetzen, Wandel begleiten
Die Gemeinschaftsverpflegung (GV) gewinnt als Hebel für eine nachhaltige Ernährung zunehmend an Bedeutung: Millionen Mahlzeiten gehen täglich über die Theke – ob in Kitas, Schulen, Betrieben oder Kliniken. Entsprechend groß ist das Potenzial, durch Veränderungen in der GV einen systemischen Beitrag zur Transformation von Ernährungssystemen zu leisten. Das Forschungsprojekt „Transformation des Ernährungssystems in Richtung Nachhaltigkeit am Beispiel von Innovationen für die Gemeinschaftsverpflegung in der Oberrheinregion“ (Innovationscampus Nachhaltigkeit, ICN) widmet sich der Förderung von Nachhaltigkeit in der GV. In Kooperation mit verschiedenen GV-Einrichtungen werden zunächst Nachhaltigkeitsbewertungen durchgeführt, um darauf aufbauend passgenaue Nachhaltigkeitsinnovationen zu entwickeln und umzusetzen. Die Maßnahmen – z. B. zur Reduktion des Fleischkonsums oder zur Förderung regionaler Produkte – werden wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Im Zentrum steht die transdisziplinäre Zusammenarbeit mit Praxispartner*innen. Dabei zeigt sich, dass die Überführung der wissenschaftlich fundierten Handlungsempfehlungen oft schwierig ist. Gerade bei sensiblen Themen wie dem veränderten Speiseangebot oder der Reduktion tierischer Produkte stoßen Veränderungsimpulse auf Vorbehalte, Routinen und mentale Hürden. Der Beitrag geht der Frage nach, wie im Projekt mit diesen Herausforderungen umgegangen werden kann, welche Formate und Methoden möglicherweise unterstützend wirken und welche Lernprozesse sich auf Seiten von Wissenschaft und Praxis andeuten – mit dem Ziel, gemeinsam tragfähige Wege zur nachhaltigen Transformation
