Leipziger KUBUS | Saal 1D
Zeit:
Mittwoch, 12.11.2025
17:00 – 18:30 Uhr
Thematische Session 2.2
Gemeinsam gestalten und forschen in der Allgemeinmedizin
Zum Abstract →
Vorträge
Kersten, Susanne; Kersting, Christine; Bräsigk, Annett & Weißbach, Sabine
Stakeholder-Beteiligung im Kontext allgemeinmedizinischer Forschung – Besonderheiten und relevante Stakeholder
Zum Abstract →
Kersten, Susanne; Kersting, Christine; Bräsigk, Annett & Weißbach, Sabine
Etablierte Formate zur Beteiligung von Stakeholdern im Kontext allgemeinmedizinischer Forschung
Zum Abstract →
Erhardt, Rahel; Schädler, Tom; Kuhnert, Tobias & Pfister, Andreas
Partizipation im Spagat: Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung mit jungen LGBTQ+-Personen und Gesundheitsfachpersonen
Zum Abstract →
Scheffel, Antonia; Fritsch, Tanja & Prodinger, Birgit
Priorisierung von Themen zur Versorgung von erwachsenen Menschen im Krankenhaus, die mit angeborenen oder in der frühen Kindheit erworbenen Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung leben (PRISMA): Forschung mit einem partizipativen Ansatz.
Zum Abstract →
Faltus, Timo
Citizen Science in der partizipativen Gesundheitsforschung und Medizin – Rechtliche Fallstricke und medizinethische Widersprüche durch Partizipation
Zum Abstract →
Thematische Session 2.2
Kersten, Susanne; Kersting, Christine; Bräsigk, Annett & Weißbach, Sabine
Gemeinsam gestalten und forschen in der Allgemeinmedizin - Beteiligung von Patient:innen, MFA, Hausärzt:innen und Praxisteams in der allgemeinmedizinischen Forschung
Partizipation in der allgemeinmedizinischen Forschung ist weit mehr als ein ethischer Anspruch. Sie fördert die Transparenz, stellt praxisnahe Fragestellungen in den Mittelpunkt und führt zu umsetzbareren Studiendesigns, die den relevanten Versorgungsalltag abbilden. Dadurch werden Forschungsergebnisse relevanter und können klarer kommuniziert und lassen sich nachhaltiger in die hausärztliche Praxis implementieren. Voraussetzungen für eine erfolgreiche Partizipation sind klare Strukturen, sinnvolle Rollenverteilungen und lebendige partizipative Prozesse.
In dieser Session fokussieren wir uns auf strukturierte Formate, die eine echte Beteiligung zentraler Akteur:innen in der hausärztlichen Versorgung: Patient:innen, Medizinischen Fachangestellten (MFA) und Hausärzt:innen.
Im Mittelpunkt dieser Session werden unterschiedliche Ansätze gelungener Beteiligung – von kontinuierlich arbeitenden Patient:innen- und Standortbeiräten am Institut für Allgemeinmedizin (IfA) Leipzig bis hin zu innovativen Online-Formaten wie dem MFA Online-Forum von HAFO.NRW. Die verschiedenen Formate werden in kurzen Impulsvorträgen von den jeweiligen Standorten präsentiert und gemeinsam mit den Teilnehmenden hinsichtlich der Relevanz für allgemeinmedizinische Forschungsprojekte diskutiert. So gewinnen die Teilnehmenden wertvolle Einblicke in Chancen, Herausforderungen und Erfolgsfaktoren einer gelebten Beteiligungspraxis. Außerdem wollen wir erörtern, wie stark der Wunsch nach Beteiligung bei Patient:innen tatsächlich ausgeprägt ist und wo derzeit noch Grenzen in der Umsetzung liegen.
Ein besonderes Anliegen dieser Session ist es, Beteiligung nicht nur zu thematisieren, sondern auch praktisch zu leben: Daher ist geplant, sowohl MFA als auch Patient:innen als gleichberechtigte Mitwirkende einzuladen, die Session aktiv mitzugestalten. Sie bringen ihre Erfahrungen aus bisherigen Forschungsprojekten ein, teilen ihre Perspektiven und regen durch Reflexionen und Impulse eine lebendige Diskussion an. Durch diese direkte Einbindung werden die unterschiedlichen Bedürfnisse und Erwartungen der Beteiligten sichtbar und können direkt in die Weiterentwicklung partizipativer Formate einfließen. So wird echte Mitwirkung erfahrbar und der Austausch zwischen Praxis, Forschung und Patient:innen gestärkt.
Neben den fachlichen Impulsen werden auch konkrete Methoden der Einbindung sowie rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen thematisiert. Ziel ist es, praktische, übertragbare Ansätze für eine multiperspektivische Beteiligung zu vermitteln, die einen echten Einfluss auf Forschungsprozesse, Studiendesigns und Ergebnisverwertung hat.
Abstracts
Kersten, Susanne; Kersting, Christine; Bräsigk, Annett & Weißbach, Sabine
Stakeholder-Beteiligung im Kontext allgemeinmedizinischer Forschung – Besonderheiten und relevante Stakeholder
Die Beteiligung relevanter Interessensgruppen (Stakeholder) in der medizinischen Forschung ist zunehmend verbreitet – unter anderem durch die Einbindung von Patient:innen, Angehörigen oder deren Vertretungen.
Dieser Impulsvortrag legt den Fokus auf Forschung in der Allgemeinmedizin. Er dient als thematischer Einstieg in die Session „Gemeinsam Gestalten und Forschen in der Allgemeinmedizin“ (ID 11181) und gibt einen Einblick in den Stand der Beteiligung im Kontext allgemeinmedizinischer Forschung, stellt Besonderheiten heraus und benennt zentrale Stakeholder.
Die allgemeinmedizinische Forschung ist historisch aus der Praxisforschung von Hausärzt:innen hervorgegangen. Dies hat zur Folge, dass die Perspektiven insbesondere von Hausärzt:innen als zentrale Stakeholder von Beginn an in der allgemeinmedizinischen Forschung Berücksichtigung gefunden hat – häufig jedoch eher informell und wenig strukturiert. Neben Hausärzt:innen stellen auch die Praxisteams – allen voran Medizinische Fachangestellte (MFA) – sowie Patient:innen und deren Angehörige wichtige Stakeholder dar, deren Sichtweisen es im Forschungsprozess einzubinden gilt. Hinsichtlich Patient:innen und MFA haben sich Beteiligungsaktivitäten erst in den vergangenen Jahren zunehmend etabliert. Die Besonderheit bei Patient:innen ist deren große Heterogenität: von chronisch erkrankten Personen in kontinuierlicher hausärztlicher Versorgung bis hin zu akut erkrankten Personen oder gesunden Personen mit präventiven Anliegen.
Für praxisnahe und umsetzbare Forschung in der Allgemeinmedizin ist es erforderlich verschiedene Stakeholder frühzeitig bedarfsgerecht einzubinden.
Kersten, Susanne; Kersting, Christine; Bräsigk, Annett & Weißbach, Sabine
Etablierte Formate zur Beteiligung von Stakeholdern im Kontext allgemeinmedizinischer Forschung
Beteiligung von Interessensgruppen (Stakeholdern) an allgemeinmedizinischer Forschung hat sich in den letzten Jahren zunehmend weiterentwickelt. Relevante Stakeholder sind dabei nicht nur Patient:innen oder Bürger:innen, sondern auch Hausärzt:innen und Medizinische Fachangestellte (MFA) als zentrale Akteur:innen im hausärztlichen Versorgungskontext.
Aufbauend auf dem ersten Impulsvortrag in der Session „Gemeinsam Gestalten und Forschen in der Allgemeinmedizin“ (ID 11181) zu relevanten Stakeholdern und Besonderheiten ihrer Beteiligung in der Allgemeinmedizin, fokussiert dieser zweite Impuls auf etablierte Formate und Aktivitäten zur Beteiligung von Stakeholdern in der allgemeinmedizinischen Forschung.
Um Patient:innen bzw. Bürger:innen, Hausärzt:innen und MFA an allgemeinmedizinischer Forschung zu beteiligen und deren Perspektiven miteinzubeziehen, wurden an verschiedenen universitären Standorten unterschiedliche Formate etabliert. In diesem Beitrag werden beispielhaft und in Kürze die Konzepte und Arbeitsweisen folgender Beteiligungsformate skizziert: Generischer Patient:innenbeirat, das MFA-Online-Forum und der in 2025 neu aufgebaute Forschungsbeirat (Standortbeirat) des Hausärztlichen Forschungspraxennetzes Nordrhein-Westfalen (HAFO.NRW) sowie der Leipziger Praxis- und Patient:innenbeirat des Instituts für Allgemeinmedizin der Universität Leipzig.
Beteiligungsaktivitäten können in Umfang, Struktur und Zielsetzung sehr unterschiedlich ausgestaltet sein. Ihre Umsetzung ist sowohl abhängig von den Rahmenbedingungen der Institutionen als auch von den Bedarfen, Wünschen und Ressourcen der Stakeholder.
Erhardt, Rahel; Schädler, Tom; Kuhnert, Tobias & Pfister, Andreas
Partizipation im Spagat: Erkenntnisse aus der Versorgungsforschung mit jungen LGBTQ+-Personen und Gesundheitsfachpersonen
Es gibt einen Mangel an Forschung zum Zugang zu und den Erfahrungen mit der Gesundheitsversorgung von jungen LGBTQ+-Personen in der Schweiz und weltweit. Insbesondere gibt es nur wenige Forschung bezüglich LGBTQ+-spezifische und -sensible Ansätze und deren Rolle in der Gesundheitsversorgung dieser Bevölkerungsgruppe. Die LGBTQ+-YOUTHPATH-Studie, die Teil des Nationalen Forschungsprogramms 2025–2029 zu Gender, Medizin und Gesundheit (NFP 83) ist, untersucht die Gesundheitsbedürfnisse und -wege von LGBTQ+-Personen im Alter von 18 bis 25 Jahren. Unter Verwendung eines Mixed-Methods-Designs kombiniert die Studie eine Sekundäranalyse der ersten landesweiten LGBT-Gesundheitsstudie der Schweiz mit qualitativen Tagebuchdaten von jungen LGBTQ+-Personen und Gesundheitsfachpersonen sowie einer Organisationsanalyse. Dabei wird durchgehend einen partizipativen Ansatz mit Co-Forschenden aus der LGBTQ+-Community sowie dem Gesundheitswesen verfolgt. Es werden Erkenntnisse aus der Anfangsphase (April bis November 2025) vorgestellt. Dazu gehören die Rekrutierung der Co-Forschenden, die Initiierung der Zusammenarbeit und deren Einbeziehung in die frühe Datenanalyse sowie Diskussionen über Methodik und Datenerhebungsinstrumente. Gewicht wird auf die Fragestellung der Förderung eines gewinnbringenden Austauschs zwischen den Perspektiven von «Patient*innen» und «Versorger*innen» in gemeinsamen Entscheidungsräumen gelegt. Dies ist besonders wichtig bei partizipativen Ansätzen, bei denen marginalisierte Teilnehmende mit stigmatisierenden Versorgungserfahrungen dazu aufgefordert werden, direkt mit institutionellen «Vertreter*innen» zusammenzuarbeiten. Präsentiert werden bestehende Herausforderungen, gewonnene Erkenntnisse und Best Practices.
Scheffel, Antonia; Fritsch, Tanja & Prodinger, Birgit
Priorisierung von Themen zur Versorgung von erwachsenen Menschen im Krankenhaus, die mit angeborenen oder in der frühen Kindheit erworbenen Beeinträchtigungen der geistigen Entwicklung leben (PRISMA): Forschung mit einem partizipativen Ansatz.
Obwohl Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung (MmkB) das Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit haben, zeigen Studien aus dem (inter-)nationalen Kontext, dass sie in Zugang und Nutzung von Gesundheitsversorgung mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert und damit einem erhöhten Risiko einer Fehlversorgung ausgesetzt sind. Dennoch gibt es nur wenige Studien über die Versorgungslage von MmkB im Krankenhaus, in denen Betroffene selbst befragt oder in den Forschungsprozess eingebunden werden.
Ziel des Projektes ist, die wichtigsten Forschungsfragen zur Verbesserung der Krankenhausversorgung von MmkB aus der Perspektive Betroffener zu ermitteln.
Das Studiendesign orientiert sich an der Vorgehensweise der James Lind Alliance und umfasst vier Schritte zur Identifizierung und Priorisierung von Forschungsfragen. Dabei werden MmkB, ihre informellen und formellen Betreuer*innen sowie Gesundheitsfachkräfte in zwei Online-Fragebögen zu relevanten Themen befragt. Daraus ergeben sich Forschungsfragen, welche abschließend in einem eintägigen Workshop priorisiert werden.
Der Forschungsprozess wird fortlaufend partizipativ mit einer Steuerungsgruppe, bestehend aus bayernweiten Vertreter*innen unterschiedlicher Institutionen mit Bezug zur Gesundheitsversorgung von MmkB und einem Beratungsgremium, bestehend aus Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung, (weiter-)entwickelt.
Die Ergebnisse des Forschungsprojektes dienen als Grundlage, zukünftige Forschungsprojekte über die Krankenhausversorgung von MmkB entsprechend den ermittelten Prioritäten zu gestalten. Zum Zeitpunkt der Tagung liegen Ergebnisse einer ersten Befragung zur Themengenerierung vor.
Faltus, Timo
Citizen Science in der partizipativen Gesundheitsforschung und Medizin – Rechtliche Fallstricke und medizinethische Widersprüche durch Partizipation
Citizen Science-Projekte in der Medizin und in den Gesundheitswissenschaften werfen neue rechtliche und medizinisch-ethische Fragen auf, die in anderen Citizen Science-Projekten in dieser Form nicht auftreten.
Projektmitarbeitende müssen sich dieser rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen bewusst sein, um das Projekt in einer rechtskonformen Weise durchzuführen.
Einerseits können solche Citizen Science-Projekte mit ihrem inklusiven, partizipativen Ansatz neue therapeutische Ansätze liefern, indem sie Patienteninteressen berücksichtigen, die bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Andererseits stellen diese inklusiven, partizipativen Ansätze neue Fragen an das Arzneimittelrecht, das Medizinprodukterecht, das Datenschutzrecht und das Patentrecht.
Es ist fraglich, inwieweit der bestehende Rechtsrahmen, der als Rechtsgrundlage für die professionalisierte, institutionalisierte Wissenschaft und Forschung entwickelt wurde, Citizen Science-Projekte allgemein und im Speziellen in der medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Forschung entsprechend ihren Chancen und Risiken angemessen reguliert.
Der Vortrag zeigt, wo bei medizinischen, gesundheitswissenschaftlichen Citizen-Science-Projekten strafrechtliche Probleme auftreten können.
Darüber hinaus zeigt der Vortrag auf, inwieweit Citizen-Science-Projekte mit einem medizinischen, gesundheitswissenschaftlichen oder epidemiologischen Forschungsansatz einer professionellen ethischen Überprüfung durch eine institutionalisierte Ethikkommission bedürfen.
Schließlich schult der Vortrag Projektmitarbeitende zu erkennen, wo Citizen-Science-Projekte, insbesondere solche mit einem Open-Science-Ansatz, mit den Zielen des Patentrechts in Konflikt geraten und welche praktische Bedeutung diese Konflikte für die Realisierung therapeutischer Ansätze für die breite Öffentlichkeit haben.
