Ein Leitfaden für Partizipation
in der Forschung:
Zentrale Aspekte in zehn Handlungsfeldern
Ziel dieses Teil des Leitfadens ist es, unter Einbeziehung der vielfältigen bestehenden wissenschaftlichen und praktischen Erfahrungen und Empfehlungen aus den einzelnen partizipativ arbeitenden Communities übergreifende Leitfragen, Gestaltungsoptionen, Herausforderungen und mögliche Lösungsansätze zu bündeln.

Diese Aspekte sind in zehn übergreifende Handlungsfelder eingeordnet:

Aufgrund der fokussierten Perspektive dieses Leitfadens können nicht alle Aspekte detailliert behandelt werden, und auch nicht alle Inhalte sind für alle partizipativen Ansätze im gleichen Umfang relevant. Daher musste für die vorliegende Fassung eine Auswahl von zumeist drei zentralen Aspekten pro Handlungsfeld getroffen werden.
Jeder der Aspekte enthält neben einer kurzen Beschreibung und Einordnung dazu ausgewählte Praxisratschläge für die Planung und Umsetzung eines partizipativen Prozesses sowie Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur für die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema.
1. Ziele für Partizipation
Drei grundlegende Dimensionen von Partizipation
Partizipative Ansätze in der Forschung können unterschiedliche Ziele verfolgen. Es ist essenziell, diese Ziele und daraus folgende Ansprüche klar zu definieren und an alle Beteiligten eines partizipativen Prozesses transparent zu kommunizieren. Partizipation sollte nicht zum Selbstzweck werden.
Übergreifend können drei verschiedene Bereiche für Partizipation in der Forschung identifiziert werden, denen jeweils spezifische Ziele zugeordnet werden können. Partizipative Projekte können mehrere Bereiche gleichzeitig adressieren, die Bereiche können sich auch überlappen und sind oft nicht klar zu trennen:
- Partizipation in der Forschungsplanung, z. B. in der Generierung von Forschungsfragen, in Bezug auf Governance/Steuerung und Forschungsagenda
- Partizipation in der Durchführung von Forschungsprojekten, z. B. in der Erhebung und Auswertung von Forschungsdaten oder in anwendungsorientierten Entwicklungsprozessen
- Partizipation als wechselseitige Lernerlebnisse, Interaktion und Diskussion in der Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden und -ergebnissen
Partizipationsleiter
Ein weit verbreitetes Modell zur Unterscheidung verschiedener Beteiligungsintensitäten basiert auf der Partizipationsleiter (entwickelt 1969 von Sherry Arnstein für politische Partizipation). In einer Vielzahl von Varianten dieses Modells werden Stufen der Partizipation in der Forschung von reiner Information über Mitwirkung bis zur Entscheidungsmacht unterschieden.
Praxishinweise
- Die unterschiedlichen beteiligten Akteur:innen können verschiedene Ansprüche verfolgen. Tatsächliche Ziele werden nicht immer direkt ausgesprochen. Achten Sie auf eine klare und ehrliche Kommunikation.
- In der Konzeption und Umsetzung partizipativer Forschung können sich unterschiedliche wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Ziele begegnen. Führen Sie hierzu einen offenen Austausch und machen Sie sich auch mögliche Grenzen für Partizipation bewusst, z. B. die Gestaltung in Vereinbarkeit mit der im Grundgesetz verankerten Wissenschaftsfreiheit.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Allianz der Wissenschaftsorganisationen (2022). Stellungnahme Allianz der Wissenschaftsorganisationen zur Partizipation in der Forschung.
Schrögel, P., & Kolleck, A. (2019). The many faces of participation in science: Literature review and proposal for a three-dimensional framework. Science & Technology Studies, 32(2), 77-99.
Schrögel, P., Hecker, S., Mayer, M., Unterleitner, K., König, T., & Brandt, S. (2021). Partizipative Wissenschaftskommunikation – Ergänzung zur AG Partizipation der #FactoryWisskomm.
Mögliche Ziele für Partizipation
Die Partizipation von Bürger:innen (im Sinne von nicht hauptamtlich in der Forschung arbeitenden Personen), als Einzelpersonen oder in Akteur:innengruppen, in der Forschung kann u. a. (Allianz der Wissenschaftsorganisationen 2022):
- die Perspektivenvielfalt in der Forschung durch die Rückkopplung mit gesellschaftlichen Fragen und Sichtweisen erhöhen
- die Wissensbasis z. B. in Bezug auf Praxiswissen und im Bereich der Datenerhebung erweitern und damit auch zur Ausweitung von Datenbeständen beitragen
- die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit von Innovationsprozessen – von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Nutzung – und damit ihre Chancen auf Diffusion und Anwendung stärken
- der Öffentlichkeit einen fundierten Einblick in die Forschung und ihre Prozesse ermöglichen und Interaktion und Lernprozesse anstoßen
- Neugier und Interesse von Bürger:innen an Wissenschaft wecken und vertiefen und damit den Ausbau einer wissensbasierten Gesellschaft fördern
- zu mehr Transparenz und Offenheit von Forschungsprozessen und dadurch zur Akzeptanz von Wissenschaft in der Gesellschaft beitragen
Nicht alle partizipativen Ansätze können alle Zieldimensionen abdecken, bzw. ergeben sich diese aus dem jeweiligen Forschungs- und Anwendungskontext.
Praxishinweise:
- Ein partizipativer Prozess kann mehrere Ziele parallel verfolgen. Machen Sie sich aber klar, was Ihre primären Ziele sind und welche ggf. sekundär erreicht werden können.
- Manchmal schränken die Rahmenbedingungen die erreichbaren Ziele ein. Kommunizieren Sie dies transparent und machen Sie die Möglichkeiten und Grenzen des Prozesses deutlich.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Allianz der Wissenschaftsorganisationen (2022). Stellungnahme Allianz der Wissenschaftsorganisationen zur Partizipation in der Forschung.
Bundesministerium für Bildung und Forschung (2023). Partizipationsstrategie Forschung.
Schrögel, P., Hecker, S., Mayer, M., Unterleitner, K., König, T., & Brandt, S. (2021). Partizipative Wissenschaftskommunikation – Ergänzung zur AG Partizipation der #FactoryWisskomm.
Eingeladene und eingeforderte Partizipation
Partizipation in der Forschung ist oft als strukturierter Top-down-Prozess aus der Wissenschaft oder Politik heraus angelegt (eingeladene Partizipation). Daneben gibt es aber auch Teilhabewünsche aus der Gesellschaft, die nicht von der Wissenschaft initiiert sind. Diese können sich als heterogene Meinungsbilder oder als selbstorganisierte Initiativen, wie z.B. Protestbewegungen äußern (sogenannte eingeforderte/uneingeladene Partizipation – uninvited participation). Diese Unterteilung ist nicht identisch zur Unterscheidung zwischen formell verankerter Partizipation, z. B. in Planungsverfahren und informeller Partizipation wie z. B. bei Dialogveranstaltungen.
Während Top-down-Prozesse bereits Setzungen z. B. in Bezug auf Themenzuschnitt und Gestaltungsrahmen vornehmen, erfordert die Einbeziehung von Bottom-up-Initiativen ein hohes Maß an Flexibilität, z. B. in Bezug auf Themen und angestrebte Ziele. Dies kann im Konflikt mit Organisations- und Förderlogiken sowie Arbeitsweisen in der Wissenschaft stehen. Aber auch für Bürger:innen und Zivilgesellschaft stellt die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft eine Herausforderung, z. B. in Bezug auf Selbstorganisation und kollektive Entscheidungen dar. Ein gesetzter Rahmen kann deshalb nicht nur einschränkend, sondern auch ermöglichend wirken. Ein relevantes Maß für die Adressierung dieser Herausforderungen ist die Kooperationsfähigkeit: Sie beschreibt die Fähigkeit von Akteur:innen, Verbindungen und Beziehungen herzustellen – sowohl innerhalb heterogener Konsortien als auch untereinander und zu anderen Akteur:innen außerhalb.
Praxishinweise:
- Sie können beide Aspekte in einem Projekt miteinander verbinden, z. B. eine erste offene Scoping-Runde zur Sondierung von Partizipationsbedürfnissen und Einholung von breiten Perspektiven und dann konkrete partizipative Projekte, die die eingeholten Erkenntnisse mit den Rahmenbedingungen und Möglichkeiten in Einklang bringen.
- Neben formalen Projekten zur Einholung offener Inputs kann eine kontinuierliche informelle Offenheit (z.B. verbunden mit regelmäßigen gemeinsamen Reflexionsrunden im Team zu Rückmeldungen und Wünschen aus Dialogen und Begegnungen) eine Möglichkeit sein.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Göbel, C., Mauermeister, S., & Henke, J. (2022). Citizen Social Science in Germany— cooperation beyond invited and uninvited participation. Humanities and Social Sciences Communications, 9(1), 1-11.
Wehling, P. (2012). From invited to uninvited participation (and back?): rethinking civil society engagement in technology assessment and development. Poiesis & Praxis, 9, 43-60.
2.Beteiligte Akteur:innen
Grundlegende Dimensionen zur Beschreibung von Bevölkerungsgruppen
Grundlegende Kenntnisse zu Zielgruppen (vorab definiert) oder Publika/Teilnehmenden (anschließend evaluiert) sind für die Planung partizipativer Projekte wichtig. Eine Typologie aus der Wissenschaftskommunikation unterscheidet Eigenschaften in drei Bereichen. Sie basiert wiederum auf einer etablierten Dreier-Typologie aus dem Marketing (soziodemografische, psychografische und verhaltensbezogene Merkmale) und ist grundlegend auch für Partizipation in der Forschung anwendbar:
- Soziodemografische Merkmale: Diese werden am verbreitetsten genutzt und sind meist einfach quantitativ erfassbar (z. B. Alter, Geschlecht)
- Einstellungen und Informationsverhalten: Diese sind schwieriger, meist qualitativ, zu erheben, z. B. durch Interviews (z. B. Werte, Mediennutzung)
- Beziehung zu Thema/Organisation: Dies kann für Partizipation besonders relevant sein (z.B. Betroffenheit, Rolle als Stakeholder:in)
Ein weiterer Ansatz zur Konzeption von Zielgruppen/Teilnehmenden können definierte Bevölkerungssegmente sein, wie z. B. SinusMilieus (ein Modell, das Menschen mit ähnlichen Werten und einer vergleichbaren sozialen Lage zu Gruppen zusammenfasst) oder Segmente aus wissenschaftsspezifischen Modellen wie dem Wissenschaftsbarometer.
Praxishinweise:
- In der konkreten Anwendung ist meist eine Kombination von Eigenschaften aus verschiedenen Bereichen in der Zielgruppenkonzeption sinnvoll.
- Sowohl zum Konzept von Zielgruppen an sich als auch zu den Segmenten gibt es berechtigte Kritik aus der Wissenschaft. Dennoch können sie hilfreiche Ansatzpunkte sein und zur Reflexion anregen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Borgstedt, S., & Stockmann, F. (2023). Gesellschaftliche Trends im urbanen Wandel: Wohnen, Zusammenleben und Partizipation in den Sinus-Milieus. vhw-Schriftenreihe, Nr. 44.
Füchslin, T., Schäfer, M. S., & Metag, J. (2019). Who wants to be a citizen scientist? Identifying the potential of citizen science and target segments in Switzerland. Public Understanding of Science, 28(6), 652-668.
Leventon, J., Fleskens, L., Claringbould, H., Schwilch, G., & Hessel, R. (2016). An applied methodology for stakeholder identification in transdisciplinary research. Sustainability science, 11, 763-775.
Schrögel, P., Wicke, N. Fischer, L. & Ziegler, R. (2022). Überblick zu Systematisierungen für Formate und Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation. Praxisrelevante Erkenntnisse einer Auswertung wissenschaftlicher und praxisbezogener Publikationen. Ergebnisbericht Impact Unit.
Ansprüche an die Zusammensetzung der Beteiligten
Je nach Partizipationsansatz, Kontext und Forschungsthema eines Projektes können ganz unterschiedliche Ansprüche an die angestrebte Zusammensetzung der Beteiligten bzw. gewählte Herangehensweisen zur Einladung und Einbindung relevant sein. Oft treten diese Kriterien nicht in Reinform, sondern in Kombinationen auf:
- Heterogenität/Repräsentativität (Zufallsauswahl): Echte Repräsentativität ist im begrenzten Rahmen partizipativer Projekte kaum erreichbar, alternativ kann eine möglichst hohe Heterogenität angestrebt werden.
- Wissens-/Perspektivenvielfalt (Expert:innen-Auswahl): Hierbei werden gezielt verschiedene Wissensträger:innen, einschließlich Expert:innen aus Erfahrung / des Alltags eingebunden.
- Einbindung Betroffener (Spezifische Ansprache): Dies sind direkt oder indirekt Betroffene oder Personen mit anderen Bezügen zum Thema.
- Einbindung von Stakeholder:innen (Spezifische Ansprache): Dies können sowohl institutionelle Stakeholder:innen als auch Interessengruppen, einschließlich zivilgesellschaftlicher Organisationen sein.
- Einbindung besonderer Teilgruppen (Spezifische Ansprache): Ein Beispiel kann die gezielte Einbindung benachteiligter Gruppen oder von sog. trendführenden Nutzenden (Lead User) sein.
- Selbstselektion (Offene Einladung): Hierbei ist offen, welche Bezüge die Teilnehmenden mitbringen, neben Interesse kann dies auch Betroffenheit oder der Wunsch, Wissen zu teilen, sein.
Praxishinweise:
- Auch wenn die Forderung nach Repräsentativität für partizipative Projekte nicht immer relevant oder umsetzbar ist, sollten alle Projekte die Zusammensetzung ihrer Teilnehmenden reflektieren und mögliche Exklusionsmechanismen identifizieren.
- Abhängig von der Zielsetzung ist nicht immer eine möglichst große Teilnehmendenzahl ein relevantes Ziel.
- Auch für beteiligte Wissenschaftler:innen können diese Kriterien analog angelegt werden, auch wenn hier in der Praxis meist die Expertise ausschlaggebend ist.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Wahl, A.; Kasberg, A.; Arsova Netzelmann, T; Krämer, U. (2021). PartNet-Diskussionspapier: Beteiligte an Partizipativer Gesundheitsforschung. In: PartNet Perspektiven. Beiträge zur partizipativen Forschung 1/21.
Rohr, J., Ehlert, H., Möller, B., Hörster, S., & Hoppe, M. (2017). Impulse zur Bürgerbeteiligung vor allem unter Inklusionsaspekten – empirische Befragungen, dialogische Auswertungen, Synthese praxistauglicher Empfehlungen zu Beteiligungsprozessen. Umweltbundesamt TEXTE 36/2017.
Wer wird oft ausgeschlossen oder nicht erreicht?
Die meisten partizipativen Ansätze setzen hohe Maßstäbe an soziale Gerechtigkeit und eine breite Öffnung der Wissensproduktion. Dennoch erreichen sie – genauso wie andere Formate – oft vor allem einen eher akademisch geprägten, sozio-ökonomisch besser gestellten Teil der Bevölkerung.
Die Heterogenität und Vielfalt der Bevölkerungsgruppen, die bisher wenig erreicht werden, machen es schwierig, diese klar zu definieren. Oft führt ein Zusammenspiel verschiedener Exklusionsfaktoren und Diskriminierungsmechanismen (Intersektionalität) dazu, dass bestimmte Menschen von Beteiligung ausgeschlossen werden.
Auch die Beschreibung als Gruppen kann fälschlicherweise Homogenität unterstellen und einen Exklusionsfaktor als definierende Eigenschaft in den Vordergrund stellen. Hier ist besondere Sensibilität und eine Reflexion der Perspektiven der Einladenden eines partizipativen Projektes gefragt (siehe Zugänglichkeit).
Der Forschungsüberblick Exklusion in der Wissenschaftskommunikation enthält eine Typologie, die innere (z. B. Alter) und äußere (z. B. Sprache) Exklusionsdimensionen sowie Barrieren in Wissenschaft und Gesellschaft beschreibt. Daneben können auch auf anderen Ebenen Personen oft nicht für die Mitarbeit in einem partizipativen Projekt erreicht werden. Dies können z.B. Kommunalpolitiker:innen oder Inhaber:innen zivilgesellschaftlicher Ehrenämter sein – aus zeitlichen Gründen oder aufgrund eines engen thematischen Fokus.
Ausgewählte Leitfäden, Praxisempfehlungen und Handreichungen:
- Increasing diversity in research participation: A good practice guide for engaging with underrepresented groups (2023)
- Beyond Inclusion: Equity in Public Engagement: A Guide for Practitioners (2020)
- Poster „Wen erreicht Wissenschaftskommunikation nicht?“ (2020)
- Science for All? Practical Recommendations on Reaching Underserved Audiences. (2020)
- Instrumentenkoffer für inklusive Citizen Science (2024)
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Humm, C., Schrögel, P. & Welz, M. (2024). Forschungsüberblick Exklusion in der Wissenschaftskommunikation: fehlende Diversität und Barrieren.
Paleco, C., García Peter, S., Salas Seoane, N., Kaufmann, J., & Argyri, P. (2021). Inclusiveness and diversity in citizen science. In K. Vohland, et al. (Hrsg.), The Science of Citizen Science, 261–282. Cham: Springer Nature Switzerland.
Pateman, R. M., Dyke, A., & West, S. E. (2021). The diversity of participants in environmental citizen science. Citizen Science: Theory and Practice, 6(1), 9, 1–16.
Rohr, J., Ehlert, H., Möller, B., Hörster, S., & Hoppe, M. (2017). Impulse zur Bürgerbeteiligung vor allem unter Inklusionsaspekten – empirische Befragungen, dialogische Auswertungen, Synthese praxistauglicher Empfehlungen zu Beteiligungsprozessen. Umweltbundesamt TEXTE 36/2017.
3. Methoden und Formate
Ressourcen und Sammlungen von Methoden und Formaten
Es existieren eine Vielzahl an Methoden- übersichten und Formatsammlungen, insbesondere spezifisch für einzelne partizipative Ansätze. Die im ersten Teil des Leitfadens aufgeführten Quellen können einen ersten Eindruck vermitteln.
Übergreifende Anregungen können einerseits aus Methodensammlungen gezogen werden, die sich nicht explizit mit Partizipation in der Forschung beschäftigen.
- Die globale Plattform Participedia enthält eine Vielzahl an Methoden und Fallbeispielen unterschiedlichster Ausprägung und Detailtiefe.
- Die österreichische Plattform Partizipation enthält eine Auswahl erprobter Methoden, die sich nach verschiedenen Kriterien filtern lassen.
- Ebenso die Plattform Action Catalogue.
- Liberating Structures sind Mikrostrukturen, also kleinteilige Methoden, die zur Gestaltung von Workshops und Gruppendiskussionen eingesetzt werden können.
Andererseits beziehen sich einige Sammlungen spezifisch auf Partizipation in der Forschung. Breiter anwendbare Beispiele dafür sind:
- td-net Toolbox – Webportal mit Methoden und Werkzeugen für die Koproduktion von Wissen.
- td Academy / TransImpact Toolbox – Dokument mit umfangreicher Methodensammlung zur transdisziplinären Forschung.
- Open and Responsible Research and Innovation Platform – interaktive Datenbank mit Methoden, Case Studies und Publikationen, zugänglich durch etliche Filteroptionen.
Praxishinweise:
- Methoden gleichen Namens können unterschiedlich ausgelegt oder ähnliche Methoden unter unterschiedlichen Namen geführt werden – orientieren sie sich am Besten an den Gestaltungselementen/Charakteristika.
- Holen Sie sich Anregung zur Implementierung von Methoden und deren Kombination aus Fallbeispielen anderer Projekte.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Duea, S. R., Zimmerman, E. B., Vaughn, L. M., Dias, S., & Harris, J. (2022). A guide to selecting participatory research methods based on project and partnership goals. Journal of Participatory Research Methods, 3(1).
Geekiyanage, D., Fernando, T., & Keraminiyage, K. (2021). Mapping participatory methods in the urban development process: A systematic review and case-based evidence analysis. Sustainability, 13(16), 8992.
Gezielte Auswahl und Anpassung von Formaten
Die Auswahl geeigneter Formate und Methoden hängt von den konkreten Rahmenbedingungen, Zielen, Beteiligten und Ressourcen ab. In vielen Fällen können mehrere Methoden gleichermaßen geeignet sein. Dabei ist die genaue Bezeichnung und theoretische oder methodische Tradition für die Partizipations-Community oft relevanter als für die Teilnehmenden. Zwar sollte es ein grundlegender Anspruch sein, über die Auswahl und Umsetzung von Methoden transparent zu kommunizieren und Teilnehmende einzubeziehen, schließlich werden darüber Partizipationsräume geöffnet und geschlossen. Die Methoden-Diskussion sollte aber den eigentlichen Kern der partizipativen Forschung nicht überlagern.
Ebenso können die manchmal unklaren bzw. unterschiedlich verwendeten Begrifflichkeiten und Konzepte, genauso wie die Benennung der partizipativen Ansätze an sich, unnötige Barrieren in der Umsetzung darstellen. Partizipation ist primär eine Frage der Haltung, des gemeinsamen Erkenntnisinteresses und der gemeinsamen Arbeit. Wichtiger als die konkrete Bezeichnung eines Formats ist es, dass Rahmenbedingungen, Ziele und Methoden zusammenpassen.
Praxishinweise:
- Machen Sie sich vor der Wahl einer Methode oder eines Formates im Projektteam klar, welches Ziel Sie konkret erreichen wollen. Dies mag trivial klingen, aber häufig stecken Projekte (teils auch unbewusst) in Pfadabhängigkeiten, z. B. aus einer Antragslogik, institutionellen Einbettung oder auch früheren konzeptionellen Festlegungen.
- Entscheiden Sie gemeinsam im Projektteam und unter Einbezug der Teilnehmenden, welche Ausrichtung und welche Stufe der Partizipation in welcher Phase des Projektes sinnvoll, hilfreich und realistisch umsetzbar ist. Und welche Formate, Methoden und Anforderungen an die Moderation sich daraus ergeben.
- Dokumentieren Sie Methoden, Prozesse und Zwischenprodukte, um Transparenz herzustellen, den Fortschritt nachvollziehbar zu machen und Erkenntnisse für zukünftige Projekte nutzbar zu machen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Cornwall, A., & Jewkes, R. (1995). What is participatory research?🔒 Social science & medicine, 41(12), 1667-1676.
Vaughn, L. M., & Jacquez, F. (2020). Participatory research methods–choice points in the research process. Journal of Participatory Research Methods, 1(1).
Online-Partizipation
Während in manchen partizipativen Ansätzen digitale/online Formate einen etablierten Platz haben (z. B. in Citizen-Science-Crowdsourcing-Projekten oder in der Kommentierung von Planungsprozessen), stehen in anderen persönliche Interaktionen vor Ort im Fokus. Online-Kommunikation kommt dort oft nur als Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt vor.
Beide Kommunikationswege stehen sich nicht prinzipiell entgegen und gerade für Community-basierte Ansätze hat die räumliche Dimension eine besondere Bedeutung. Allerdings hat sich in der Covid- 19-Pandemie gezeigt, dass digitale Tools in vielen Kontexten produktiv eingesetzt werden können, jenseits von schon etablierten Online-Formaten wie Abstimmungen oder Konsultationen. Bürger:innen-Räte kommen auch via Videokonferenz zusammen, kreative Methoden digitaler Zusammenarbeit werden erprobt und neue Formate entstehen.
Allerdings muss die Barrierefreiheit und Zugänglichkeit weiter im Auge behalten werden, hier spielen Schulungen eine wichtige Rolle. Ebenso stellt der Datenschutz oft eine Herausforderung dar. Bei etlichen Tools bestehen Bedenken hinsichtlich der langfristigen DSGVO-Konformität, z. B. weil Server von einer Firma außerhalb der EU betrieben werden. Gleichzeitig sind Bürger:innen es gewohnt, diese Tools und Plattformen privat selbstverständlich zu nutzen, und haben wenig Bereitschaft, sich auf datenschutzkonforme, dafür unbekannte Tools einzulassen.
Praxishinweis:
- Das Dilemma zwischen Datenschutzansprüchen im Projekt und Nutzungsverhalten im Alltag von Bürger:innen lässt sich kaum rechtssicher auflösen. Oft ist bereits die Präsenz von öffentlichen Einrichtungen auf Social-MediaPlattformen mindestens schon eine Grauzone. Hier empfiehlt es sich, mit den Rechtsabteilungen und Datenschutzstellen der eigenen Organisation den Spielraum auszuloten.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Afzalan, N., & Muller, B. (2018). Online participatory technologies: Opportunities and challenges for enriching participatory planning.🔒 Journal of the American Planning Association, 84(2), 162-177.
Lomax, H., Smith, K., McEvoy, J., Brickwood, E., Jensen, K., & Walsh, B. (2022). Creating online participatory research spaces: insights from creative, digitally mediated research with children during the COVID-19 pandemic. Families, Relationships and Societies, 11(1), 19-37.
Radtke, J. (2023). E-Participation in Post-Pandemic-Times: A Silver Bullet for Democracy in the Twenty-First Century? RIFS Discussion Paper, July 2023.
Shin, B., Floch, J., Rask, M., Bæck, P., Edgar, C., Berditchevskaia, A., … & Branlat, M. (2024). A systematic analysis of digital tools for citizen participation. Government Information Quarterly, 41(3), 101954.
4. Rahmenbedingungen
Erwartungsmanagement und Transparenz
Transparenz stellt eine zentrale Grundlage für die Umsetzung partizipativer Projekte dar. Sie ermöglicht den so oft versprochenen Dialog auf Augenhöhe, schafft eine geteilte Informationsbasis für die Zusammenarbeit, und ermöglicht es, gemeinsam Möglichkeiten der Ko-Forschung aber auch Grenzen (z.B. aus Förderbedingungen, rechtlichen oder wissenschaftlichen Rahmenbedingungen) offen zu besprechen.
Dabei geht es nicht um eine bedingungslose Transparenz. Insbesondere in Bezug auf personenbezogene, sensible Informationen ist eine Abwägung zu treffen. Weiterhin setzt ernstgemeinte Transparenz voraus, Informationen bei Bedarf aufzubereiten und nutzbar zu gestalten (siehe Zugänglichkeit).
Transparenz über die Rahmenbedingungen, Ziele und Möglichkeiten eines partizipativen Projektes ist die Grundlage für eine gemeinsame Verständigung über Erwartungen an das Projekt – methodisch, inhaltlich und auch persönlich. Dies betrifft Forschende gleichermaßen wie weitere Beteiligte. Es können durchaus verschiedene Erwartungen bei verschiedenen Beteiligten bestehen, die sich nicht widerspruchsfrei auflösen lassen. Eine frühzeitige Auseinandersetzung damit und ein kontinuierliches Erwartungsmanagement sind hilfreich.
Praxishinweis:
- Bereits auf Ebene von Projektinitiator:innen können unterschiedliche, teils unausgesprochene Erwartungen an ein Projekt bestehen – insbesondere bei unterschiedlichen Rollen und Hierarchieebenen. Schaffen Sie auch Raum, diese im Projektteam zu reflektieren.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Allianz Vielfältige Demokratie (2017). Transparenz bei Bürgerbeteiligung. Handreichung für Projektverantwortliche. Bertelsmann Stiftung.
Robinson, J. A., Kocman, D., Speyer, O., & Gerasopoulos, E. (2021). Meeting volunteer expectations—a review of volunteer motivations in citizen science and best practices for their retention through implementation of functional features in CS tools. Journal of Environmental Planning and Management, 64(12), 2089-2113.
Thompson, M. A., Owen, S., Lindsay, J. M., Leonard, G. S., & Cronin, S. J. (2017). Scientist and stakeholder perspectives of transdisciplinary research: Early attitudes, expectations, and tensions🔒 Environmental Science & Policy, 74, 30-39.
Mey, E., & van Hoven, B. (2019). Managing expectations in participatory research involving older people: what’s in it for whom? International Journal of Social Research Methodology, 22(3), 323-334.
Zugänglichkeit und einladende Gestaltung
Partizipative Projekte werden meist von einem hohen normativen und inhaltlichen Anspruch getragen und haben einen wissenschaftlichen und transformativen Fokus. Aber auch die vermeintlich geringfügigen, eher „handwerklichen“ Aspekte einer einladenden, zugänglichen Gestaltung spielen eine wichtige Rolle für den Erfolg partizipativer Projekte.
Dazu gehören basale Aspekte wie ein ansprechender Raum und eine angenehme Atmosphäre, eine professionelle Moderation, die Berücksichtigung von Pausen und angemessener Verpflegung oder die Ansprache und kommunikative Gestaltung.
Aber auch die Verwendung bekannter Kommunikationskanäle (wie z. B. Messenger wie WhatsApp, siehe Kommunikation innerhalb partizipativer Projekte und Datenschutz) und etablierter digitaler Tools sowie die Berücksichtigung unterschiedlicher Informationsbedürfnisse und Kommunikationsgewohnheiten sind für die Zugänglichkeit von Projekten zu bedenken.
Weiterhin gehören dazu im Wortsinne auch die Zugänglichkeit und Erreichbarkeit von Orten, die Barrierefreiheit von Räumen und Formaten sowie die Gestaltung niedrigschwelliger Mitwirkungsmöglichkeiten, die auch einen unverbindlichen Einstieg ermöglichen und unterschiedliche Formen der Beteiligung zulassen.
Praxishinweis:
- Neben der organisatorischen Setzung der Rahmenbedingungen kann sich eine einladende oder auch nicht-einladende Atmosphäre auch aus Dynamiken und Gruppenprozessen im Projekt ergeben, gerade wenn sich vielfältige Personen mit unterschiedlichen Erwartungen und Hintergründen beteiligen. Hier ist ein umschauendes Beobachten und Reflektieren dieser Prozesse wichtig und eine professionelle Moderation hilfreich.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Kazig, R., & Schnur, O. (2023). Der Beitrag von Atmosphären zu Partizipation in Quartieren – Resultate einer explorativen Studie.
Schrögel, Philipp; Rühland, Svenja; … Thieleis, Ines. (2020). Von Offener Wissenschaft zu Zugänglicher Wissenschaft ⁄ Diskussionspapier.
Deutsches Institut für Menschenrechte (2018). Partizipation barrierefrei gestalten. Wie die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen auf Augenhöhe gelingen kann. MonitoringStelle UN-Behindertenrechtskonvention. Position Nr. 17.
Zeitliche Ausgestaltung
In Bezug auf die zeitliche Ausgestaltung partizipativer Projekte sind drei Aspekte zu bedenken. Es kann allerdings sein, dass diese je nach Kontext nur eingeschränkt frei gestaltet werden können. In diesen Fällen können aber zumindest Hinweise für die Kommunikation oder Gestaltung von Mitwirkungsmöglichkeiten abgeleitet werden.
Zeitpunkt: Ein immer wieder diskutierter Aspekt ist die Terminierung von Veranstaltungen oder Aktivitäten. Während Termine an Abenden oder Wochenenden die Teilnahme von Personen mit anderen beruflichen Verpflichtungen ermöglichen, kann dies andererseits Personen mit Kindern ausschließen. Ähnliches gilt für Termine, die in der Arbeitszeit von beruflich im Feld Arbeitenden liegen, aber dann andere ausschließen. Weiterhin können Überschneidungen mit unterschiedlichen föderalen Feiertagen und Ferienzeiten sowie religiösen Anlässen oft nicht widerspruchsfrei aufgelöst werden.
Dauer: Dies kann sich einerseits auf die Dauer einzelner Veranstaltungen beziehen. Hierbei gilt es, die zeitlichen Ressourcen von ehrenamtlich Engagierten zu bedenken, ebenso eventuelle Reisezeiten und familiäre Verpflichtungen. Andererseits betrifft dies längerfristige Laufzeiten von Projekten.
Commitment: Ein besonderer Aspekt bei längerfristigen Projekten ist das Commitment der einzelnen Beteiligten. Generell verläuft der Trend bei ehrenamtlichem Engagement, z.B. in Vereinen, zu immer weniger längerfristiger Beteiligung und weniger Verbindlichkeit. Für partizipative Projekte bedeutet dies, auch modulare und flexible Mitwirkungsmöglichkeiten anzubieten.
Praxishinweise:
- In Bezug auf die Festlegung von Zeiten für Veranstaltungen oder Aktivitäten kann eine alternierende Planung den unterschiedlichen Präferenzen bzw. zeitlichen Verfügbarkeiten gleichermaßen gerecht werden.
- Machen Sie sich bewusst, dass Sie in der Regel nicht alle einzelnen Bedürfnisse vereinbaren können. Versuchen Sie, eine möglichst konsensuale zeitliche Gestaltung im Austausch mit den Beteiligten zu finden.
- Halten Sie vereinbarte Zeiten und Dauern ein, um den Teilnehmenden Planungssicherheit zu geben.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Wendt, B., & Köhrsen, J. (2022). Time for change? Zeit als Herausforderung für Nachhaltigkeitspartizipation. GAIA-Ecological Perspectives for Science and Society, 31(4), 215-221.
Del Gaudio, C., Franzato, C., & de Oliveira, A. J. (2017). The challenge of time in communitybased participatory design🔒 Urban Design International, 22, 113-126.
5. Projektkommunikation
Kommunikation innerhalb partizipativer Projekte
Die Kommunikation innerhalb partizipativer Projekte sollte in der Planung nicht vernachlässigt werden. Der Übergang zur Kommunikation nach außen ist allerdings fließend, wenn es darum geht, neue Beteiligte zu gewinnen oder einen breiteren Interessiertenkreis einzubinden.
Die Vielfalt der ggf. beteiligten Akteur:innen (Wissenschaftler:innen verschiedener Disziplinen, Wissenschaftsverwaltung, Teilnehmende, lose Interessierte, Projektpartner:innen und externe Organisationen, usw.) bringt eine ebensolche Vielfalt an Kommunikationsgewohnheiten, bevorzugten Kanälen und Informationsbedürfnissen mit sich. Dazu kommen Rahmenbedingungen aus Verwaltungsvorschriften und dem Projektkontext.
Praxishinweise:
- Stellen Sie zu Beginn eines Projektes einen Kommunikationsplan auf, evaluieren Sie diesen fortlaufend (auch informell) und passen ihn bei Bedarf an. Machen Sie das den Teilnehmenden transparent und reflektieren Sie im Verlauf die Kommunikation gemeinsam. Klar definierte Ansprechpartner:innen und eine fokussierte Auswahl an Tools und Kanälen sind hilfreich.
- Oft ist für ehrenamtlich Mitwirkende eine Kommunikation über Messenger (wie Whats-App oder andere) aus ihrer Alltagserfahrung heraus geläufiger als E-Mails, auch wenn hier ggf. Abwägungen in Bezug auf den Datenschutz zu treffen sind.
- Eine häufige Kommunikation kann für manche die Verbundenheit stärken, aber auch von anderen als störend empfunden werden. Hier kann eine Wahlmöglichkeit für Teilnehmende zur Frequenz und gewünschten Informationsebene von Projektkommunikation hilfreich sein.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Fischer, C., Radinger-Peer, V., Krainer, L., & Penker, M. (2024). Communication tools and their support for integration in transdisciplinary research projects. Humanities and Social Sciences Communications, 11(1), 1-16
Veeckman, C., Talboom, S., Gijsel, L., Devoghel, H., & Duerinckx, A. (2019). Communication in citizen science. A practical guide to communication and engagement in citizen science. SCIVIL, Leuven, 1–58.
McGreavy, B., Haynal, K., Smith-Mayo, J., Reilly-Moman, J., Kinnison, M. T., Ranco, D., & Leslie, H. M. (2022). How does strategic communication shape transdisciplinary collaboration? a focus on definitions, audience, expertise, and ethical praxis. Frontiers in Communication, 7, 831727.
Kommunikation mit Öffentlichkeiten und in die Wissenschaft
Die öffentliche Kommunikation aus Forschungsprojekten beginnt meist mit einer Verkündung des Projektstarts bzw. der erfolgreichen Mitteleinwerbung. Dabei kann es gerade für partizipative Projekte geboten sein, schon zuvor die Vorbereitung partizipativ zu gestalten und zu kommunizieren.
Während der Umsetzung sind Aufrufe zur Teilnahme sowie die Kommunikation von Zwischenergebnissen und relevanten Veranstaltungen häufige Kommunikationsanlässe. Hier unterscheidet sich die Kommunikation wenig von Wissenschaftskommunikation und PR für andere Forschungsprojekte und kann sich an den etablierten Leitlinien und Methoden orientieren. Dabei sollten die Beteiligten sowohl in der Gestaltung als auch in den Inhalten der Kommunikation eingebunden sein.
Die Kommunikation in die Wissenschaft hinein erfolgt meist über Konferenzbeiträge und wissenschaftliche Publikationen (diese aber häufig mit großer Verzögerung durch die Publikationsprozesse). Die Projektbeteiligten sollten als Update darüber informiert werden, und können z. B. auch bei gemeinsamen Präsentationen eingebunden werden.
Weiterhin kann eine gezielte, auch informell mögliche, Kommunikation mit anderen Wissenschaftler:innen, Gremien und Einrichtungen die Anschlussfähigkeit der Ergebnisse stärken und ggf. auch neue Partner:innen gewinnen.
Mit Projektende endet häufig auch die Kommunikation. Allerdings wäre mit Blick auf die längeren Nachlaufzeiten bei Konferenzbeiträgen und Publikation eine fortgesetzte Kommunikation mit den Beteiligten wünschenswert.
Praxishinweise:
- Überlegen Sie, auch die Kommunikation partizipativ zu gestalten, z. B. durch kuratierte Account-Übernahmen auf Social-Media oder gemeinsam erstellte und betreute Kanäle oder Maßnahmen.
- Legen Sie vor Projektende gemeinsam im Team fest, welche Anschlusskommunikation von wem übernommen werden kann (siehe Transfer und Follow-Up-Kommunikation).
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Veeckman, C., Talboom, S., Gijsel, L., Devoghel, H., & Duerinckx, A. (2019). Communication in citizen science. A practical guide to communication and engagement in citizen science. SCIVIL, Leuven, 1–58.
Wissenschaft im Dialog & Bundesverband Hochschulkommunikation (2016). Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR.
Zeit, Ressourcen und Kompetenzen für Kommunikation
Zeit
Eine erfolgreiche Projektkommunikation erfordert ausreichend Zeit, die im Projektplan berücksichtigt werden muss und sich in der Arbeitszeitverteilung von Mitarbeitenden wiederfinden sollte. Eine angemessene Kommunikation kann nicht nebenbei erledigt werden. Weiterhin sind gerade bei einer partizipativ gestalteten Kommunikation ausreichend Abstimmungsschleifen und Feedbackmöglichkeiten einzuplanen.
Ressourcen
Einerseits beziehen sich Ressourcen auf die im Projekt zur Verfügung stehenden Ressourcen (insbesondere finanziell und materiell). Hier sollte für eine professionelle Kommunikation entsprechendes Budget eingeplant werden, z. B. für Video-Dienstleistungen, Grafik oder Redaktion. Andererseits kann auf bestehende Ressourcen im Sinne von Materialien, Leitfäden und Datenbanken für Wissenschaftskommunikation zurückgegriffen werden:
- Gut kommuniziert! Ein Praxisleitfaden für Citizen-Science-Projekte
- QUEST Toolkits (Meta-Übersicht über mehrere Toolkits)
- EUSEA Plattform Toolkits (Meta-Übersicht über mehrere Toolkits)
- Formatdatenbank wissenschaftskommunikation.de (enthält auch partizipative Formate)
- Formatdatenbank EUSEA Plattform (enthält auch partizipative Formate)
Kompetenzen
Projekte können von externer Kommunikationsexpertise in der Planung und Umsetzung profitieren. Gleichzeitig können Fortbildungen und Trainings zum Kompetenzaufbau bei Mitarbeitenden und Beteiligten angeboten werden.
Praxishinweise:
- Sie können (mit entsprechender Wertschätzung und ggf. Honorierung) gezielt Kompetenzen der Beteiligten einbinden.
- Häufig (so auch in den oben aufgeführten Datenbanken) überschneiden sich partizipative und andere kommunikative Formate und Methoden.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Deutscher Fachjournalisten-Verband (2016). Wissenschaft kommunizieren: Pressemitteilungen texten. SCIVIL, Leuven, 1–58.
Lukan, T. (2024) Toolkit: Make science go viral.
Nationales Institut für Wissenschaftskommunikation (2021). Leitfaden Präsentieren.
6. Datenmanagement und Ergebnisverwertung
Datenmanagement, FAIR und CARE Prinzipien
Für das Datenmanagement in partizipativen Projekten sind je nach Kontext auch grundlegende Prinzipien aus dem Forschungsdatenmanagement relevant:
Die FAIR-Prinzipien sind Richtlinien, die sich im Forschungsdatenmanagement als Standard etabliert haben, um offenen Datenzugang und -austausch zu gewährleisten. Sie sollen erreichen, dass Forschungsdaten „Findable, Accessible, Interoperable, and Reusable“, also auffindbar, zugänglich, austauschbar und nachnutzbar sind.
Die CARE-Prinzipien streben einen gerechteren Umgang mit Daten, die indigene Gemeinschaften betreffen, an. Dabei steht nicht die Erleichterung des Datenaustauschs im Fokus, sondern die Wahrung der Interessen indigener Gemeinschaften (was auch auf andere Beteiligtengruppen partizipativer Forschung übertragen werden kann). Die Prinzipien sind: Collective Benefit (Kollektiver Nutzen möglich aus den Datenökosystemen), Authority to Control (Autorität zur Kontrolle durch indigene Völker der sie betreffenden Daten), Responsibility (Verantwortung und Rechenschaftspflicht derjenigen, die mit indigenen Daten arbeiten) und Ethics (Ethische Reflexion in allen Phasen des Forschungsdatenzyklus).
Praxishinweise:
- Insbesondere die Aspekte der Auffindbarkeit und Zugänglichkeit sind in partizipativen Projekten von zentraler Bedeutung. Forschungsdatenmanagement geht sonst primär von Wissen und Ressourcen aus, die hauptsächlich in etablierten wissenschaftlichen Organisationen vorliegen.
- Eine besondere Rolle muss daher die didaktische Aufbereitung von Daten sowie die Gestaltung und Erklärung von Methoden und Tools einnehmen.
- Umsetzungshinweise: Leitfaden Offene Daten der Zivilgesellschaft (2023)
- Umsetzungshinweise: Leitfaden Forschungsdaten planen (2024)
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Carroll, S. R., Hudson, M., Chapman, J., Figueroa-Rodríguez, O. L., Holbrook, J., Lovett, R., Materechera, S., Parsons, M., Raseroka, K., Rodriguez-Lonebear, D., Rowe, R., Sara, R., & Walker, J. (2019). Die CARE-Prinzipien für indigene Data Governance.
Carroll, S. R., Herczog, E., Hudson, M., Russell, K., & Stall, S. (2021). Operationalizing the CARE and FAIR Principles for Indigenous data futures. Scientific data, 8(1), 108.
Hodson, S., Jones, S., Collins, S., Genova, F., Harrower, N., Laaksonen, L., … & Wittenburg, P. (2018). Turning FAIR into reality. Final report and action plan from the EC expert group on FAIR data.
Lush, V., Bastin, L., Otsu, K., & Masó, J. (2024). Assessing FAIRness of citizen science data in the context of the Green Deal Data Space. International Journal of Digital Earth, 17(1), 2344587.
Autor:innenschaft und Würdigung von Mitwirkenden
Ein zentraler Aspekt bei der gemeinsamen Produktion von Wissen in partizipativen Projekten ist die angemessene Nennung und Würdigung der Beteiligten.
Dabei sind je nach Verteilung der Mitwirkung und Rollenverteilung verschiedene Ansätze denkbar: die Einbeziehung als gleichwertige Ko-Autor:innen, die namentliche Benennung von Mitwirkenden in deren spezifischer Rolle oder auch nur eine zusammenfassende Würdigung. Weiterhin gibt es unterschiedliche Optionen, wo und wie die Nennung in einer wissenschaftlichen Publikation (in anderen Publikationsformen sind die Optionen noch freier gestaltbar) erfolgt, z. B. in einer Ergänzung zu den Autor:innenangaben im Titel, in einer Fußnote zu Beginn, im Acknowledgements-Abschnitt oder in einem separaten, ausführlichen Authors Contribution Statement.
Je nach partizipativem Ansatz und Fachgebieten gibt es hierzu unterschiedliche Gepflogenheiten und Ansprüche. Generell kommen hier aber normative Ansprüche an Partizipation und Wissenschaft zusammen mit den eigenen Vorstellungen von Beitragenden und auch pragmatischen Anforderungen, z. B. durch Journal-Vorgaben oder Abwägungen zur Übersichtlichkeit.
Ein weiterer Aspekt betrifft die Einbeziehung und Würdigung von Ko-Forschenden bei Konferenzvorträgen (siehe Kommunikation mit Öffentlichkeiten und in die Wissenschaft) oder Präsentationen in Gremien oder Workshops. Neben der Nennung steht hier auch die Möglichkeit zur Verfügung, sie als Ko-Referent:innen einzubeziehen.
Praxishinweis:
- Planen Sie gemeinsame Kommunikationstrainings oder Workshops für hauptamtlich Forschende und weitere Beitragende zur Vorbereitung auf Konferenzen und Präsentationen frühzeitig im Projektverlauf ein. Damit können alle gleichberechtigter an den Präsentationen mitwirken. Dazu gehört auch eine Vorbereitung auf die Gepflogenheiten und Erwartungen bei akademischen Veranstaltungen, um Barrieren abzubauen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
de Vries, M., Land-Zandstra, A., & Smeets, I. (2019). Citizen scientists’ preferences for communication of scientific output: a literature review. Citizen Science: Theory and Practice, 4(1).
Sarna‐Wojcicki, D., Perret, M., Eitzel, M. V., & Fortmann, L. (2017). Where are the missing coauthors? Authorship practices in participatory research🔒 Rural Sociology, 82(4), 713- 746.
Transfer und Follow-Up Kommunikation
In der Organisations- und Förderlogik des heutigen Wissenschaftssystems findet Partizipation in der Forschung meist im Kontext zeitlich befristeter Projekte statt. Deshalb ist es wichtig, die Kommunikation zum und nach dem Projektende zu bedenken (siehe Kommunikation mit Öffentlichkeiten und in die Wissenschaft).
Einerseits betrifft dies den Transfer von Ergebnissen und Erkenntnissen aus dem Projekt, über den wechselseitigen Transfer zwischen den Beteiligten im Projektverlauf hinaus. Dieser Transfer kann in Richtung von Wissenschaft, Politik und Verwaltung, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder auch anderen Akteur:innen gerichtet sein. Häufig enden Projekte mit Projektberichten, die zwar manchmal noch aufbereitet und vorgestellt werden, aber eine aktive Kommunikation an potenziell Nutzende findet nicht immer statt. Weitere zentrale wissenschaftliche Veröffentlichungen werden aufgrund der Publikationsprozesse erst Monate oder Jahre später fertig. Organisatorisch ist das allerdings eine Herausforderung, wenn die hauptamtlich für die Projekte arbeitenden Personen dann schon Verpflichtungen für ihre eigentliche, neue berufliche Station haben. Hier gilt es, innerhalb der Organisationen und im Austausch mit Förderorganisationen weitere Überlegungen zur Verbesserung der Nachnutzung zu stellen.
Andererseits betrifft dies auch die weitere Einbindung der beteiligten Ko-Forschenden, die nach Projektende häufig nicht mehr über den weiteren Verlauf informiert oder einbezogen werden. Dies ist insbesondere für partizipative Projekte und Formate relevant, die nicht über ein einzelnes, konkret kommunizierbares Abschlussergebnis (z.B. eine spezifische Empfehlung) verfügen.
Praxishinweise:
- Legen Sie vor Projektende gemeinsam im Team fest, welche Anschlusskommunikation von wem übernommen werden kann.
- Überlegen Sie, welche Beteiligten und Stakeholder:innen welchen Teil der Ergebnisse in welcher Form brauchen können.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Chen, P. G., Diaz, N., Lucas, G., & Rosenthal, M. S. (2010). Dissemination of results in community-based participatory research🔒 American journal of preventive medicine, 39(4), 372-378.
7. Rechtliche Aspekte
Datenschutz
Eine besondere Rolle im Datenschutz spielen personenbezogene Daten und die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Darüber hinaus kann für Fotografien auch das Recht am eigenen Bild nach dem Kunsturhebergesetz relevant sein, auch wenn in den meisten Bereichen die DSGVO als höherrangiges Recht ausschlaggebend ist. Je nach Projektkontext können insgesamt Daten in erheblichem Maß anfallen, und eine umfassende Planung ist geboten.
Zentrale Aspekte dabei sind die informierte Einwilligung von Mitwirkenden, die Datenerhebung durch Mitwirkende, die Verarbeitung von Daten (insbesondere in Bezug auf verwendete Software und Plattformen) sowie die Speicherung und Veröffentlichung.
Insbesondere beim Umgang mit sensiblen Daten und bei der Einbeziehung von Minderjährigen ist besondere Sorgfalt geboten. Eine Schritt-für-Schritt-Reflexion anhand der angegebenen Leitfäden ist zu empfehlen, übergreifend sind kaum detailliertere Empfehlungen möglich.
Praxishinweise:
- Suchen Sie den Austausch mit vergleichbaren Projekten zu verwendeten Vorlagen und Regelungen. Besprechen Sie diese auch mit der Rechtsabteilung bzw. Datenschutzbeauftragten Ihrer eigenen Einrichtung.
- Eine rechtliche Einordnung ist in allen Projekten kontextabhängig. Die kurzen Hinweise hier und auch die weiterführend angegebenen Materialien können eine persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Anhalt-Depies, C., Stenglein, J. L., Zuckerberg, B., Townsend, P. A., & Rissman, A. R. (2019). Tradeoffs and tools for data quality, privacy, transparency, and trust in citizen science🔒 Biological Conservation, 238, 108195.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2021). Praxishilfe zum Datenschutz in Reallaboren.
Museum für Naturkunde (2020). Leitfaden für rechtliche Fragestellungen in Citizen-Science-Projekten.
Kreutzer, T., & Lahmann, H. (2021). Rechtsfragen bei Open Science: Ein Leitfaden. Hamburg University Press.
Urheberrecht
Auch urheberrechtliche Fragen können je nach Projektkontext eine erhebliche Rolle in partizipativen Forschungsprojekten spielen.
Dies kann den urheberrechtlichen Datenbankwerkschutz (bei der Sammlung und Analyse von Forschungsdaten) und z. B. angefertigte Bilder und Fotografien (unterschiedlicher Status je nach Typ – Lichtbildwerke, Lichtbilder und technische Bilder) betreffen. Auch Inhaberrechte und entsprechende Nutzungsund Schutzrechte, insbesondere gewerbliche Schutzrechte (wie z. B. Patente), können je nach Projekttyp und Kontext relevant sein.
Eine Schritt-für-Schritt-Reflexion anhand der angegebenen Leitfäden ist zu empfehlen, übergreifend sind kaum detailliertere Empfehlungen möglich.
Freie/Offene Lizenzen: Prinzipiell bietet es sich an, freie Lizenzen in partizipativen Projekten zu verwenden, da sie häufig mit öffentlichen Geldern gefördert werden und einen kollaborativen Ansatz sowie die weitestgehende Nutzbarkeit für die Beteiligten und die Allgemeinheit verfolgen. Diese ermöglichen es, dass Rechteinhaber:innen der Allgemeinheit direkt und unvermittelt einfache Nutzungsrechte einräumen. Ganz pragmatisch vermeidet dies auch die komplexen gesetzlichen Erlaubnisse und Schranken aus dem Urheberrecht. Es gibt verschiedene Modelle freier Lizenzen, als verbreitetes Beispiel sind insbesondere die Creative Commons Lizenzen zu nennen.
Praxishinweis:
- Eine rechtliche Einordnung ist in allen Projekten kontextabhängig. Die kurzen Hinweise hier und auch die weiterführend angegebenen Materialien können eine persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Museum für Naturkunde (2020). Leitfaden für rechtliche Fragestellungen in Citizen-Science-Projekten.
Kreutzer, T. (2015). Open Content. Ein Praxisleitfaden zur Nutzung von Creative-Commons-Lizenzen.
Kreutzer, T., & Lahmann, H. (2021). Rechtsfragen bei Open Science: Ein Leitfaden. Hamburg University Press.
Versicherung und Aufsichtspflicht
Generell ist für eine Veranstaltung mit externen Teilnehmenden ein Versicherungsschutz relevant. Für partizipative Ansätze zur gemeinsamen Durchführung von Forschung, z.B. bei Citizen Science, im Rahmen von Aktionsforschung oder partizipativem Design, kann dies aufgrund der durchgeführten Tätigkeiten besonders relevant sein.
Bei Aktivitäten greift je nach Status der Beteiligten (im Auftrag einer Institution, als Vereinsmitglied oder eigenständig tätig) die gesetzliche oder eine eigene freiwillige Unfallversicherung der Teilnehmenden. In Bezug auf Schadenersatz haften (außer bei schuldhafter Verursachung) die Versicherung der beauftragenden Institution oder die Haftpflicht-Sammelversicherung des jeweiligen Bundeslandes. Der unten aufgeführte Leitfaden für rechtliche Fragestellungen in Citizen-Science-Projekten stellt die Fälle übersichtlich und im Detail dar.
Für die Einbindung von Kindern und Jugendlichen (unter 18 Jahren) kann die Aufsichtsund Fürsorgepflicht relevant sein. Bei der Kooperation mit Schulen liegt diese üblicherweise bei den Lehrer:innen, wenn die Eltern beteiligt sind, bei diesen. Die Kooperation mit Träger:innen der Kinder- und Jugendarbeit für ein Partizipationsprojekt kann eine weitere Option sein, fachkundige Kompetenz einzuholen und eine abgesicherte Umsetzung zu ermöglichen. Je nach Art des Projektes und der partizipativ gestalteten Tätigkeiten ist eine gründliche Planung empfehlenswert und ggf. sind weitere Betreuungspersonen sinnvoll.
Praxishinweise:
- Zu Fragen der Aufsichtspflicht können ggf. Kolleg:innen aus der eigenen Einrichtung bereits mit Erfahrung in Schulprojekten Hinweise geben.
- Eine rechtliche Einordnung ist in allen Projekten kontextabhängig. Die kurzen Hinweise hier und auch die weiterführend angegebenen Materialien können eine persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Bayerischer Jugendring (2018). Arbeitshilfe Aufsichtspflicht. Aufsichts- und Verkehrssicherungspflichten in der Jugend(verbands)arbeit.
Kiessling, T., Kruse, K., Lorke, J., & Brink, W. (2023). Citizen Science mit Schulen – Ein Leitfaden mit 10 Empfehlungen für Projektinitiator*innen. Hrsg. Bürger schaffen Wissen.
Museum für Naturkunde (2020). Leitfaden für rechtliche Fragestellungen in Citizen-Science-Projekten.
8. Ethische Aspekte
Machtstrukturen und Öffnung – Demokratisierung von Wissenschaft
Für Partizipation in der Forschung lassen sich an verschiedenen Stellen (besonders deutlich wird es z.B. für Citizen Science) zwei Ursprünge bzw. Traditionslinien feststellen: Ein eher pragmatischer Begründungszusammenhang besteht aus der Einbeziehung unterschiedlicher Wissensbestände und der Unterstützung bei der Erhebung und Auswertung von Daten, bei der gemeinsamen Entwicklung von Technologien oder in der Entwicklung von Konzepten mit Nutzenden.
Daneben ist ein zweites prominentes Motiv vieler partizipativer Ansätze stark normativ geprägt: Ziel ist die Einbindung und das Empowerment von Betroffenen, z.B. in der Gesundheitsforschung oder bei Umweltfragen, das Öffnen starrer Wissens- und Machthierarchien und eine Demokratisierung von Wissenschaft an sich. In manchen partizipativen Ansätzen ist dies im Kern angelegt, während es bei anderen eine Frage der Motive der Beteiligten ist.
Die Bestrebungen schließen sich nicht gegenseitig aus. Partizipative Forschung bietet die Möglichkeit, neue Formen des Erkenntnisgewinns, gemeinwohlorientierter Wissenschaft und nachhaltigen Fortschritts zu realisieren.
Praxishinweis:
- Nehmen Sie den partizipativen Prozess zum Anlass, gemeinsam über Machtstrukturen zu reflektieren und sich ihrer jeweiligen Rollen bewusst zu werden. Es geht nicht darum, Wissens- und Erfahrungsunterschiede und unterschiedliche Interessenlagen zu verdrängen, sondern bewusst damit umzugehen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Götsch, M., Klinger, S., & Thiesen, A. (2012). „Stars in der Manege?“ Demokratietheoretische Überlegungen zur Dynamik partizipativer Forschung. Forum Qualitative Sozialforschung. Vol. 13, Nr. 1, 1-24.
Schneidewind, U., & Wissel, C. V. (2015). Transformative Wissenschaft: Warum Wissenschaft neue Formen der Demokratisierung braucht. Forum Wissenschaft 4/2015
Stirling, A. (2010). Keep it complex. Nature, 468(7327), 1029-1031.
Strasser, B. J., Baudry, J., Mahr, D., Sanchez, G. and Tancoigne, E. (2019). „Citizen Science’? Rethinking Science and Public Participation“. Science & Technology Studies, 32(2), 52–76.
Turnhout, E., Metze, T., Wyborn, C., Klenk, N., & Louder, E. (2020). The politics of coproduction: participation, power, and transformation🔒 Current Opinion in Environmental Sustainability, 42, 15-21.
Wertschätzung und Aufwandsentschädigungen
Generell sollten Mitwirkende an partizipativer Forschung keine dadurch verursachten Kosten tragen müssen. Dazu gehören Reisekostenerstattung, Bereitstellung von Materialien (auch wenn in manchen Bereichen ehrenamtlich Forschende dies von sich aus selbst tragen) und ggf. Verpflegung während der Aktivitäten. Aber auch die Übernahme von Betreuungskosten für Kinder während der Teilnahme oder eine angebotene Kinderbetreuung vor Ort wäre denkbar.
In Bezug auf die Zahlung von Aufwandsentschädigungen gibt es kein einheitliches Bild. Sie können Wertschätzung, Teilnahmeanreiz und Förderung wenig erreichter Gruppen sein. Aber es gibt auch Argumente, dass sie falsche Anreize setzen und ggf. nicht in bestehenden Budgets abbildbar sind. Zudem gibt es keine etablierten Standards in Bezug auf Höhe und auf formelle Abwicklung (im Gegensatz z.B. zu festen Regeln für Sitzungsgelder und Entschädigung für Schöff:innen) und förderrechtliche Einordnung. Steuerlich kann je nach Projekt und Kontext für die Empfänger:innen die Übungsleiter- oder Ehrenamtspauschale eine Option sein, aber nicht zwingend. Darüber hinaus sind Aufwandsentschädigungen für Empfänger:innen auch in Bezug auf eventuelle Transferleistungen oder arbeitsrechtliche Aspekte zu prüfen.
Nicht-finanzielle Wertschätzung und Anreize zur Teilnahme
Zertifikate oder z.B. gemeinsame Veranstaltungen können ebenso Wertschätzung ausdrücken. Diese sollten im Verhältnis zu den geleisteten Beiträgen und den Möglichkeiten im Projekt stehen und nicht nur als günstige Abfindung dienen.
Praxishinweise:
- Aufgrund der Situationsabhängigkeit empfiehlt sich für Projekte auf jeden Fall eine individuelle Prüfung in Abstimmung mit der Verwaltung.
- Den Empfänger:innen sollten möglichst konkrete Hinweise auf die steuer- und ggf. arbeitsrechtlichen Implikationen mitgegeben werden.
- Kommunizieren Sie die genaue Ausgestaltung und Modalitäten von Aufwandsentschädigungen und Kostenerstattungen transparent und von Anfang an gegenüber allen Beteiligten.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Rhiann McLean for the Scottish Human Rights Commission. (2021). Paying people with lived experience for their participation.
Vergne, A. (2017). Bürgerbeteiligung mit Zufallsauswahl. Das Zufallsprinzip als Garant einer vielfältigen demokratischen Beteiligung: ein Leitfaden für die Praxis. Allianz Vielfältige Demokratie/Bertelsmann Stiftung.
NIHR (2022). Payment guidance for members of the public considering involvement in research.
Weitere ethische Aspekte und bestehende Ethikleitfäden
Ethische Aspekte in den weiteren Handlungsfeldern:
Neben den zwei im Handlungsfeld aufgeführten Aspekten zu Machtstrukturen und Öffnung sowie Wertschätzung und Aufwandsentschädigungen liegen auch weiteren Handlungsfeldern ethische Fragestellungen zu Grunde. Das sind u.a.:
- Wer wird oft ausgeschlossen oder nicht erreicht?
- Transparenz und Zugänglichkeit
- Autor:innenschaften und Würdigung von Mitwirkenden
- CARE Prinzipien für Daten, Datenschutz & Urheberrecht
Ethikkomitees
Bestehende Ethikkomitees in Forschungseinrichtungen sind oft nicht auf die Bewertung partizipativer Projekte vorbereitet. Auch die partizipative Gestaltung von Ethikkomitees an sich ist bisher kaum verbreitet. Hier besteht weiterer Handlungs- und Gestaltungsbedarf.
Auswahl bestehender Ethikleitfäden für partizipative Forschungsansätze:
- Ethikkodex für Reallabore der Nachhaltigkeit (Entwurf, 2024)
- Participatory Health Research. A Guide to Ethical Principles and Practice (2013)
- Ethics Framework and Guidelines for Participatory Processes in the Activities of Research Funding Organizations (2024)
- Ethische Herausforderungen in der partizipativen Forschung reflektieren (2023)
- Community-based participatory research A guide to ethical principles and practice (2012)
Praxishinweis:
- Die Leitfäden können nur Hinweise geben und Grundlagen aufzeigen. Reflektieren Sie die ethischen Aspekte für Ihren Kontext und Ihr Projekt mit dem Team und den Beteiligten und vereinbaren Sie gemeinsam Prinzipien.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Banks, S., Armstrong, A., Carter, K., Graham, H., Hayward, P., Henry, A., … & Strachan, A. (2016). Everyday ethics in community-based participatory research. In Knowledge Mobilisation and Social Sciences (pp. 97-111). Routledge.
Dyer, S. (2004). Rationalising public participation in the health service: the case of research ethics committees. BMC Medical Ethics, 23(1), 23.
Khanlou, N., & Peter, E. (2005). Participatory action research: considerations for ethical review🔒 Social science & medicine, 60(10), 2333-2340.
9. Evaluation und Begleitforschung
Grundlegende Evaluationsansätze und -prinzipien
Für Überlegungen zur Evaluation von Partizipation in der Forschung ist es hilfreich, sich vorab mit Definitionen und Prinzipien für Evaluation im Allgemeinen zu befassen, auch wenn diese nicht in allen Details für partizipative Projekte zutreffend oder relevant sein mögen. Generell ist es wichtig, Evaluation bereits am Anfang eines Projektes mitzudenken, z.B. schon bei der Definition von Zielen, und nicht erst nachgelagert gegen Projektende.
Ansätze zur Evaluation
Evaluationsansätze lassen sich in externe, durch Außenstehende durchgeführte, und interne, durch die Akteur:innen selbst durchgeführte Evaluationen unterscheiden. Bei der externen Evaluation unterscheidet man wiederum prozessbegleitende (formative) und abschließende (summative) Ansätze. Prozess- begleitende Evaluation beobachtet kontinuierlich den Stand der Umsetzung von Aktivitäten und gibt regelmäßig Rückmeldung über Zwischenergebnisse, um frühzeitig Abweichungen von der Prozessplanung zu erkennen und Fehlentwicklungen zu verhindern. Abschließende Evaluation erhebt dagegen die Ergebnisse am Ende der Aktivitäten und bewertet sie.
Wirkungsstufen
Die zu evaluierende Wirkung eines Projektes kann nach dem Modell von PHINEO in vier Wirkungsstufen unterteilt werden: Inputs (eingesetzte Ressourcen, z.B. finanziell oder personell), Outputs (direkte, meist zählbare Ergebnisse, z.B. Produkte oder Veranstaltungen), Outcomes (individuelle Wirkung auf der Ebene der Zielgruppe, z.B. Wissen), Impact (gesellschaftlichen Wirkungen auf eine Zielgruppe). Ein Modell für Wirkung von transdisziplinärer Forschung unterscheidet Effekte erster, zweiter und dritter Ordnung, je nach Nähe zum Projekt.
Evaluationsstandards
Die Standards der Gesellschaft für Evaluation definieren vier Standardbereiche (Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness und Genauigkeit) für Evaluation, die sich in Form von insgesamt 25 Einzelstandards konkretisieren lassen, z.B. Klärung der Evaluationszwecke, Effizienz von Evaluation oder Schutz individueller Rechte.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Bergmann, M., & Jahn, T. (2008). Intendierte Lerneffekte: Formative Evaluation inter- und transdisziplinärer Forschung🔒 In H. Matthies, D. Simon (Hg.) Wissenschaft unter Beobachtung: Effekte und Defekte von Evaluationen, 222-247.
Niemann, P., van den Bogaert, V., & Ziegler, R. (2023). Evaluationsmethoden der Wissenschaftskommunikation. Springer Nature.
Rowe, G., & Frewer, L. J. (2000). Public participation methods: a framework for evaluation🔒 Science, technology, & human values, 25(1), 3-29.
Rowe, G., Horlick-Jones, T., Walls, J., & Pidgeon, N. (2005). Difficulties in evaluating public engagement initiatives: reflections on an evaluation of the UK GM Nation? public debate about transgenic crops. Public Understanding of Science, 14(4), 331-352.
Schäfer, M., Bergmann, M., & Theiler, L. (2021). Systematizing societal effects of transdisciplinary research🔒 Research Evaluation, 30(4), 484-499.
Übersicht über Ressourcen und Materialien zu Evaluation
Als Grundlage für die Konzeption und Durchführung einer Evaluation partizipativer Projekte kann auf bestehende Plattformen und Toolboxen zurückgegriffen werden:
- Die Evaluationsplattform der Impact Unit bietet aus der Perspektive von Wissenschaftskommunikation Anleitungen, Fragebogenvorlagen und weiterführende Informationen.
- Die Webseite des National Co-ordinating Centre for Public Engagement (UK) führt Prinzipien, Leitfäden und Tools zur Evaluation von Public-Engagement-Aktivitäten aus.
- Der Leitfaden des ISOE beschreibt Qualitätskriterien sowie Methoden und Verfahren zur formativen Evaluation von transdisziplinären Forschungsprojekten.
- The Challenge of Evaluation: An Open Framework for Evaluating Citizen Science Activities enthält Prozesse, Methoden und Indikatoren zur Evaluation spezifisch von Citizen Science.
- Das Selbstevaluations-Tool des Institut Sozialer Wandel und Kohäsionsforschung ist ein kurzer Fragebogen als Orientierungshilfe zur Reflexion.
- Der Leitfaden zur Selbstevaluation in Citizen-Science-Projekten gibt konkrete Praxishinweise.
- Das SPARK Evaluationskonzept von Diversci stellt eine Anleitung und die Materialien für eine Selbstevaluation zur Verfügung.
Praxishinweise:
- Manche Standardmethoden der Evaluation bedürfen einer Anpassung auf die partizipativen Kontexte, z.B. in Bezug auf die verwischenden Rollen von Beteiligten.
- Aufgrund vielschichtiger und oft auch impliziter Wirkungsebenen können qualitative Methoden eine besondere Rolle für die Evaluation partizipativer Projekte spielen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Bergmann, M., & Jahn, T. (2008). Intendierte Lerneffekte: Formative Evaluation interund transdisziplinärer Forschung🔒 In H. Matthies, D. Simon (Hg.) Wissenschaft unter Beobachtung: Effekte und Defekte von Evaluationen, 222-247.
Niemann, P., van den Bogaert, V., & Ziegler, R. (2023). Evaluationsmethoden der Wissenschaftskommunikation. Springer Nature.
Partizipative Evaluation
Zur Evaluation partizipativer Projekte kann eine in sich selbst partizipativ angelegte Evaluation einen wichtigen Beitrag leisten. „In der partizipativen Evaluationsforschung entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Praktikerinnen und Praktiker, Nutzerinnen und Nutzer sowie weitere für das Thema relevante Akteure gemeinsam eine Fragestellung und das Forschungsdesign. Dabei können ggf. auch Personengruppen einbezogen werden, die nicht direkte Nutzerinnen und Nutzer sind.
Grundsätzlich eignen sich alle bekannten quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden für die Durchführung partizipativer Evaluationsforschung. Ein Vorteil des Ansatzes liegt darin, dass die Verständlichkeit und Gültigkeit der Forschungsmethoden und Ergebnisse über die Diskussion im breit zusammengesetzten Forschungsteam überprüft werden. Das Forschungsteam führt die Erhebung und Auswertung der empirischen Daten gemeinsam durch. So werden gleichermaßen die Akzeptanz und Beteiligungsbereitschaft der zu beforschenden Akteure erhöht und ihre lebensweltliche Expertise kommt zur Geltung. Eine partizipative Evaluation wird somit zugleich zu einem Lernprozess, der wiederum Einfluss auf den Evaluationsgegenstand und den jeweiligen Kontext nimmt“ (Häseler-Bestmann 2019).
Praxishinweise:
- Einige partizipative Ansätze beinhalten eine partizipative Evaluation bereits als Teil des Partizipationsverständnisses, wie zum Beispiel Partizipative Aktionsforschung (die als Ursprung partizipativer Evaluation gesehen werden kann), Community-Based Research oder auch in Bereichen der partizipativen Gesundheitsforschung.
- Eine zentrale Methode für partizipative Evaluation ist die wertschätzende Befragung (Appreciative Inquiry).
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Cousins, J. B., & Whitmore, E. (1998). Framing participatory evaluation🔒 New directions for evaluation, 1998(80), 5-23.
Häseler-Bestmann, S. (2019). Partizipative Evaluationsforschung. Infodienst Radikalisierungsprävention. Berlin.
Narayan, D. (1993). Participatory evaluation. Tools for managing change in water and sanitation. The World Bank, Washington, DC.
Ulrich, S., & Wenzel, F. M. (2004). Partizipative Evaluation. In Katrin Uhl, Susanne Ulrich, Florian M. Wenzel (Hrsg.) Evaluation politischer Bildung. Ist Wirkung messbar, 27-48.
10. Reflexion zu Partizipation
Überladene Erwartungen und falsche Versprechungen
In der Kommunikation zu partizipativen Forschungsprojekten kommt es mitunter aus zwei sehr unterschiedlichen Richtungen und Motiven zu weitreichenden und positiven Versprechungen in Bezug auf die Beteiligungsmöglichkeiten und Wirkungen, die nicht den Möglichkeiten und Rahmenbedingungen im Projekt entsprechen.
Einerseits können engagierte Akteur:innen im Bereich Partizipation manchmal dazu neigen, aufgrund ihrer Überzeugungen und Begeisterung die Gestaltungsmöglichkeiten und möglichen Wirkungen eines partizipativen Projektes viel zu positiv und unkritisch darzustellen. Sie streben diese Effekte an und hoffen, sie zu erreichen, berücksichtigen aber keine realistische Einschätzung der Rahmenbedingungen.
Andererseits können manche Forschende und insbesondere Personen aus dem Wissenschaftsmanagement und Leitungsebenen gleichermaßen dazu neigen, Möglichkeiten und Wirkungen positiver als es realistisch ist darzustellen. Dies kommt insbesondere vor, wenn sie partizipative Ansätze primär aus wissenschafts- bzw. förderpolitischen Interessen verfolgen oder diese als reine kommunikative Instrumente angesehen werden.
Praxishinweise:
- Machen Sie sich im Projektteam und auch zusammen mit den Teilnehmenden klar, was Ihre Rahmenbedingungen sind und welche realistischen Ziele und Wirkungen erreicht werden können. Kommunizieren Sie dies transparent.
- Es spricht nichts dagegen, ambitionierte Ziele zu verfolgen und auf diese mit Teilnehmenden gemeinsam hinzuarbeiten. Aber machen Sie keine Versprechen, die Sie nicht halten können und diskutieren Sie im Projekt ehrlich, welche Hürden und möglichen Alternativen es gibt, um Frust und Enttäuschung bei allen Beteiligten zu vermeiden.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Polk, M. (2014). Achieving the promise of transdisciplinarity: a critical exploration of the relationship between transdisciplinary research and societal problem solving🔒 Sustainability science, 9, 439-451.
Walker, D. W., Smigaj, M., & Tani, M. (2021). The benefits and negative impacts of citizen science applications to water as experienced by participants and communities. Wiley Interdisciplinary Reviews: Water, 8(1), e1488.
Abwägung zwischen Beteiligungstiefe und Reichweite
Im Austausch in Partizipations-Communities scheint eine gewisse Tendenz zu bestehen, grundsätzlich für eine größere Beteiligungstiefe und umfassendere Intensität zu argumentieren. Während sich dies aus den normativen Ansprüchen an eine Demokratisierung von Wissenschaft erklären lässt, kann dies teilweise auch einschränkende Effekte haben.
Einerseits kann eine hohe Beteiligungsintensität dazu führen, dass nur eine kleinere Gruppe an Teilnehmenden die zeitlichen Ressourcen und das Commitment für eine kontinuierliche Mitwirkung aufbringen kann und will. Der Impact, aber ggf. auch die Aussagekraft, der Ergebnisse kann dadurch eingeschränkt sein.
Andererseits können besonders intensive Prozesse oder Formate auf Beteiligte abschreckend oder überfordernd wirken (Partizipations-Paradox). Ebenso kann eine grundsätzliche Maximalforderung für eine partizipative Öffnung von allen Forschungsprozessen auch eine Barriere für die Einbindung von weiteren Wissenschaftler:innen sein, insbesondere wenn es im jeweiligen fachlichen bzw. Projektkontext nicht sinnvoll erscheint.
Praxishinweise:
- Weniger intensive und weniger offene partizipative Prozesse mit einer größeren Reichweite und potenziell breiteren Teilnehmendenschaft haben genauso eine Berechtigung im Methodenportfolio wie intensive und umfassende Ansätze. Entscheidend ist, dass diese zu den Zielen und Rahmenbedingungen passen und mit den Teilnehmenden transparent kommuniziert sind.
- Ein partizipativer Prozess kann auch so gestaltet sein, dass anfangs Angebote und Formate mit niedrigen Einstiegsbarrieren gewählt werden, um Teilnehmende breit einzuladen. Im weiteren Verlauf können dann auch Angebote für eine weiterreichende Partizipation dazukommen.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Humm, C., & Schrögel, P. (2020). Science for All? Practical Recommendations on Reaching Underserved Audiences. Frontiers in Communication, 5(42), 1–13.
Schrögel, Philipp; Rühland, Svenja; … Thieleis, Ines. (2020). Von Offener Wissenschaft zu Zugänglicher Wissenschaft ⁄ Diskussionspapier.
Seebacher, A., Alcántara, S., & Quint, A. (2018). Der Partizipationsmythos „Partizipation bedeutet, alle immer an allem zu beteiligen“. Transdisziplinär und transformativ forschen: Eine Methodensammlung, 101-104.
Ansprüche an partizipativ erzeugtes Wissen und gesellschaftliche Wirkung
Projekte zu Partizipation in der Forschung sehen sich oft Anforderungen von zwei Seiten ausgesetzt, die scheinbar im Widerspruch zueinander stehen. Einerseits die in der Wissenschaft und auch in manchen partizipativen Communities geführten Debatten über wissenschaftliche Qualität und Anschlussfähigkeit partizipativ produzierten Wissens. Andererseits die oft formulierten Ansprüche an individuellen und gesellschaftlichen bzw. politischen Impact und die transformative Wirkung der Projekte an sich.
Zwar kann sich zwischen beiden Aspekten ein Spannungsfeld bilden, aber dies muss sich nicht ausschließen. Ein Mehrwert partizipativer Projekte besteht darin, verschiedene Wissensformen zusammenzubringen, um so in der Kombination sowohl wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt als auch gesellschaftliche Wirkung zu erzielen.
Aber genauso kann auch eine Schwerpunktsetzung sinnvoll sein. Neben dem Denken in Möglichkeiten, kann es auch hilfreich für die praktische Arbeit sein, sich bewusst zu werden, was im jeweiligen Kontext nicht erreicht werden soll – oder kann.
Nicht überall ist Partizipation mit einem weitreichenden Anspruch an gesellschaftlichen Impact sinnvoll. Nicht überall sind die traditionellen innerwissenschaftlichen Metriken und Standards die maßgebenden Kriterien für ein partizipatives Projekt.
Praxishinweise:
- Machen Sie sich ihre eigenen Ansprüche bewusst und prüfen sie, inwieweit diese im Projektkontext sinnvoll und erreichbar sind (siehe Überladene Erwartungen und falsche Versprechungen)
- Sie können je nach Projekt und Kontext einen Fokus auf einen dieser Aspekte legen und entsprechende Abwägungen vornehmen. Kommunizieren Sie dies transparent und beziehen Sie die Beteiligten mit ein.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Turrini, T., Dörler, D., Richter, A., Heigl, F., & Bonn, A. (2018). The threefold potential of environmental citizen science-Generating knowledge, creating learning opportunities and enabling civic participation. Biological Conservation, 225, 176-186.
Van der Riet, M. (2008). Participatory research and the philosophy of social science: Beyond the moral imperative🔒 Qualitative inquiry, 14(4), 546-565.
Brauer, M., & Ernst, M. (2023). Verderben viele Köche den Brei? Citizen Science im Spannungsfeld von Food Studies und öffentlicher Erwartungshaltung. In R. Smolarski, H. Carius, M. Prell (Hg.) Citizen Science in den Geschichtswissenschaften. Methodische Perspektive oder perspektivlose Methode? V&R unipress. 205-222.
Wildcard: KI und Partizipation in der Forschung
Die Einbindung von Künstlicher Intelligenz (KI) kann spannende neue Wege für die Beteiligung an Forschungsprozessen er- öffnen. So kann beispielsweise generative KI dazu beitragen, Informationen verständlich auf- zubereiten, und z.B. in großem Umfang Übersetzungen zu ermöglichen. KI kann auch bei der Datenauswertung, insbesondere in der Identifikation und Klassifikation von visuellen Daten, bisher Teil von CrowdsourcingCitizen-Science-Projekten, unterstützen. Weiterhin können KI-Tools eine Möglichkeit sein, Partizipation zugänglicher zu machen und Barrieren zur Mitwirkung abzubauen (z.B. durch Personalisierung) und unterrepräsentierte Perspektiven einzubinden.
Gleichzeitig bestehen an vielen Stellen Kritikpunkte und Diskussionsbedarf, abhängig von den eingesetzten KI-Technologien: von der möglichen algorithmischen Diskriminierung und Verstärkung von Ungleichheiten und Stereotypen, über die unethische Erhebung und Verwendung von Trainingsdaten bis zur Intransparenz der Prozesse und dem möglichen Missbrauch sowie der Fehleranfälligkeit der Ergebnisse (und damit fragwürdigen wissenschaftlichen Verwertbarkeit). Auch die Abhängigkeit von wenigen kommerziellen Anbietern stößt auf Kritik, auch wenn freie Modelle zunehmend verfügbar sind.
Praxishinweise:
- Die künftige Rolle von KI-Technologien für Partizipation in der Forschung ist momentan noch nicht abschätzbar. Hoffnungen, gestützt von ersten erfolgreichen versuchsweisen Anwendungen, treffen auf grundlegende Bedenken und Risiken. Es gilt die Entwicklung kritisch-konstruktiv zu verfolgen und die künftigen Anwendungsbeispiele partizipativ zu reflektieren.
- Zentrale Grundlage sollte der transparente Einsatz von KI-Technologien und KI-generierten Inhalten sein.
- Die weitere Entwicklung, insbesondere in Bezug auf ethische Aspekte wie Fairness, Transparenz und Nicht-Diskriminierung, sollte Gegenstand partizipativer Forschung sein.
Quellen, weiterführende Materialien und wissenschaftliche Literatur:
Campagnucci, F.; Vaz, J.C.; Kersting, N. & Sousa, I. A. (2025). Policy Brief: Artificial Intelligence for Participation. Brazil Chair, Institute of Political Science, University of Münster.
Delgado, F., Yang, S., Madaio, M., & Yang, Q. (2023). The participatory turn in ai design: Theoretical foundations and the current state of practice. In Proceedings of the 3rd ACM Conference on Equity and Access in Algorithms, Mechanisms, and Optimization (pp. 1-23).
Du, J., Ye, X., Jankowski, P., Sanchez, T. W., & Mai, G. (2024). Artificial intelligence enabled participatory planning: a review🔒 International Journal of Urban Sciences, 28(2), 183-210.
Fraisl, D., See, L., Fritz, S., Haklay, M., & McCallum, I. (2024). Leveraging the collaborative power of AI and citizen science for sustainable development. Nature Sustainability, 1-8.
Hsu, Y. C., Verma, H., Mauri, A., Nourbakhsh, I., & Bozzon, A. (2022). Empowering local communities using artificial intelligence. Patterns, 3(3).
Plattform Lernende Systeme (2023). Künstliche Intelligenz im Journalismus – Potenziale und Herausforderungen für Medienschaffende.