Leipziger KUBUS | Raum 112
Zeit:
Mittwoch, 12.11.2025
17:00 – 18:30 Uhr
Beiträge Interaktiver Workshop 2.3
Liebsch, Heike
Wochenkrippenkinderforschung
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Flemming, Eva
Bindung und seelische Gesundheit ehemaliger Wochenkrippenkinder
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Schmiedgen, Susann
Frühe Trennung von engen Bezugspersonen – langfristig gestresst bis in das Haar?
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Knorr, Stefanie; Lübke, Laura; Flemming, Eva & Spitzer, Carsten
Kindesmisshandlung und komplexe Traumafolgen bei ehemaligen Wochenkrippenkindern der DDR
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Abstracts
Liebsch, Heike
Wochenkrippenkinderforschung
Vorgestellt wird die Forschungsinitiative zu dem Thema des Wochenunterbringungssystem von Säuglingen und Kleinkindern in der DDR in der Zeit von 1949 bis 1992. Die Untersuchung des historischen Systems und möglicher Folgen für die Betroffenen begann erst 20 Jahre nach dem Ende der DDR. Sie war zunächst eine rein peergeleitete Initiative von Wissenschaftlerinnnen, die selbst ehemals in einer solchen Fremdbetreuung aufgewachsen sind – zunächst ohne eine offizielle Rahmung durch eine wissenschaftliche Institution. Die Forschung erfolgte vorrangig in den Bereichen Erziehungswissenschaft und Sozialgeschichte. Angeregt durch die nachfolgende mediale Aufmerksamkeit folgte ein erstes Forschungsprojekt aus dem Bereich der Psychologie, die von den Peers aktiv unterstützt wurde. Im Ergebnis veränderte sich die öffentliche Wahrnehmung. Sie schuf ein Problembewusstsein im medizinisch-psychologischen Hilfesystem, was den Betroffenen unmittelbar zugute kommt. Eine besondere Folge der Forschung und Öffentlichkeitsarbeit ist das Entstehen von Selbsthilfeinitiativen und Betroffenenvernetzung – ein wichtiges Beispiel für den Nutzen von Wissenschaft im Praxisbereich.
Flemming, Eva
Bindung und seelische Gesundheit ehemaliger Wochenkrippenkinder
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Bindung und seelische Gesundheit ehemaliger Wochenkrippenkinder“, durchgeführt durch die Unimedizin Rostock in Zusammenarbeit mit der Uniklinik Dresden, wurden insgesamt 324 ehemalige Wochenkrippenkinder zu ihrer psychischen Gesundheit und ihrem Erleben in Beziehungen befragt. Zudem wurden zwei Vergleichsgruppen befragt, a) N = 97 ehemalige DDR-Tageskrippenkinder und b) N = 89 Personen, die in der DDR geboren waren und in den ersten drei Lebensjahren ausschließlich in der Familie betreut worden waren. Eine Teilstichprobe wurde mit einem strukturierten klinischen Interview für psychische Störung (Mini-DIPS) untersucht und dem Bindungsinterview für Erwachsene (Adult Attachment Interview) untersucht. Im Vortrag werden die Wochenkrippen kurz in den historischen Kontext eingeordnet und ausgewählte Ergebnisse der Studie vorgestellt. Die Ergebnisse werden eingeordnet in den Kontext der Aufarbeitung der DDR-Wochenkrippen und der möglichen Langzeitfolgen früher emotionaler Deprivation. Die Diskussion erfolgt auch im Hinblick darauf, wie partizipative Forschung in der psychologischen Forschung gestaltet werden kann.
Schmiedgen, Susann
Frühe Trennung von engen Bezugspersonen – langfristig gestresst bis in das Haar?
Hintergrund:
Bislang ist unklar, welche Spuren frühe Trennungen von engen Bezugspersonen im späteren Leben hinterlassen können. Unser Forschungsprojekt ging dieser Frage nach: Wir wollten herausfinden, ob Betroffene, die in der DDR als Kinder in Wochenkrippen betreut wurden, im Erwachsenenalter psychisch und biologisch stärker belastet sind als Personen, die in der Familie oder in einer Tageskrippe betreut wurden. Besonders interessierten uns Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – einer langanhaltenden psychischen Reaktion auf schwere belastende Ereignisse – sowie Stresshormonwerte im Haar als Marker für chronischen Stress.
Methoden:
Wir untersuchten 171 ehemalige Wochenkrippenkinder und verglichen sie mit 150 Personen, die in der Familie oder in einer Tageskrippe betreut wurden. In Interviews und Online-Fragebögen erfassten wir unter anderem lebensgeschichtliche Informationen, belastende Ereignisse über die Lebensspanne und seelische Beschwerden wie PTBS-Symptome. Zudem wurden Haarproben entnommen, um langfristige Stresshormonspiegel zu messen.
Ergebnisse: Ehemalige Wochenkrippenkinder berichteten häufiger von traumatischen Ereignissen in Kindheit und späteren Leben und zeigten stärkere PTBS-Symptome – besonders dann, wenn sie mit einem jüngeren Alter in die Einrichtung kamen. Bei den Stresshormonwerten im Haar zeigten sich hingegen keine Unterschiede zur Vergleichsgruppe.
Schlussfolgerungen:
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die frühe und andauernde Trennung von engen Bezugspersonen ein möglicher Risikofaktor für das Erleben von traumatischen Ereignissen und damit zusammenhängenden psychischen Problemen im späteren Leben ist. Ob dies auch langfristige Auswirkungen auf den Körper hat, bleibt offen und muss durch weitere Forschung mit zusätzlichen Gesundheitsparametern untersucht werden.
Knorr, Stefanie; Lübke, Laura; Flemming, Eva & Spitzer, Carsten
Kindesmisshandlung und komplexe Traumafolgen bei ehemaligen Wochenkrippenkindern der DDR
Fragestellung: Ausgehend von peergeleiteten Forschungsergebnissen zu den Wochenkrippen der DDR wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts der Universitätsmedizin Rostock von April 2022 bis Dezember 2023 die Wochenkrippenunterbringung von Säuglingen und Kleinkindern mit ihrem hohem Risiko für emotionale Deprivation im Zusammenhang mit Traumatisierungen in der Kindheit und im weiteren Lebensverlauf untersucht. Dazu wurden bei 291 ehemaligen Wochenkrippenkindern und einer Vergleichsgruppe von 191 ehemals familien- oder tagesbetreuten DDR-Bürger:innen der Childhood Trauma Questionnaire und die Anzahl der Traumata im Lebensverlauf erfasst. Mittels International Trauma Questionnaire wurden Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bzw. Komplexe PTBS (KPTBS) erhoben. Die Gruppenunterschiede wurden unter Kontrolle der aktuellen Depressivität und soziodemografischen Daten untersucht.
Ergebnisse: Die Wochenkrippengruppe unterschied sich von der Vergleichsgruppe durch höhere traumatische Belastungen in der Kindheit. Übereinstimmend mit Studien zu frühen Kindheitstraumatisierungen ergaben sich deskriptiv Hinweise auf höhere KPTBS-Raten in der Wochenkrippengruppe.
Diskussion: Die Wochenkrippenunterbringung hat als möglicher Risikofaktor für Traumatisierungen in der Kindheit und im Erwachsenenalter therapeutische und gesellschaftliche Implikationen. Da die Gesamtheit der Wochenkrippenkinder archivarisch nicht erschlossen ist, sind entsprechende Forschungsprojekte konzeptionell auf die aktive Mitwirkung ehemaliger Wochenkrippenkinder angewiesen.
