Leipziger KUBUS | Saal 1A
Zeit:
Donnerstag, 13.11.2025
09:00 – 10:30 Uhr
Thematische Session 3.1
Bischof, Andreas; Rosenthal-von der Pütten, Astrid; Schäfer, Martina & Baatz, Anna
Partizipative und transdisziplinäre Roboterentwicklung – Formate, Herausforderungen und Impulse für Forschung und Praxis 1
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Vorträge
Rosenthal-von der Pütten, Astrid
Extreme Citizen Science in HRI: Ist kollaborative Wissenschaft in Studien mit menschlichen Probanden möglich und wenn ja, wie?
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Graf, Philipp & Marquardt, Manuela
Zwischen Partizipation und Reproduktion: Der Weg von der mechanomorphen Vision zum vergeschlechtlichten Roboter
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Baatz, Anna & Schäfer, Martina
Kollaborative Technikentwicklung: Potenziale und Herausforderungen am Beispiel des Co-Designs eines Roboters für die Landwirtschaft
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Siedl, Sandra Maria & Meyer, Kathrin
Nutzer:innenzentriertes Co-Design industrieller Exoskelette: Erkenntnisse aus einem partizipativen Ideation-Workshop
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Thematische Session 3.1
Bischof, Andreas; Rosenthal-von der Pütten, Astrid; Schäfer, Martina & Baatz, Anna
Partizipative und transdisziplinäre Roboterentwicklung - Formate, Herausforderungen und Impulse für Forschung und Praxis 1
Die Entwicklung von Robotern war lange Zeit auf Labore und Fabrikhallen beschränkt. Die Integration von Robotern in Felder wie Landwirtschaft, Pflege und den häuslichen Alltag verlangt nach neuen Formen der Technikentwicklung, die partizipativ, transdisziplinär und anwendungsnah gestaltet sind. Diese Session versammelt Beiträge, die den Anspruch verfolgen, Roboter gemeinsam mit Nutzer:innen und anderen relevanten Akteuren so zu entwickeln und anzuwenden, dass sie langfristig sinnvoll, nachhaltig und sozial eingebettet nutzbar sind. Dabei stehen methodische, soziale, rechtliche und ethische Dimensionen der partizipativen Technikentwicklung im Vordergrund.
Durch die Teilhabe von Nutzer:innen in allen Stadien des Entwicklungsprozesses entfaltet sich das volle Potenzial für eine sinnvolle, flexible, anpassbare und dadurch langfristige Nutzung von Robotern. Gute Praxis bedeutet hier das Schaffen von Infrastrukturen für gemeinsames Forschen, Lernen und Weiterentwickeln. Der Einsatz offener Software- und Hardware-Standards, rechtlich tragfähiger Kooperationsformate und inklusiver Bildungsangebote ist dabei essentiell.
Die Beiträge sollen den Mehrwert dieser Forschungsmodi für die Entwicklung sinnvoller Robotik aufzeigen. Willkommen sind Beiträge aus verschiedenen Disziplinen und Anwendungsfeldern, die zur gemeinsamen Reflexion über Kriterien guter Praxis für partizipatives und transdisziplinäres Arbeiten in der Roboterentwicklung einladen, und anregen, wie diese so gestaltet werden kann, dass sie zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beiträgt.
Zu den möglichen Themen der Session gehören folgende Fragen:
– Wie können technische Problemdefinition und Bedarfe der anvisierten Nutzer:innen kontinuierlich –über verschiedene Entwicklungsphasen hinweg– abgeglichen werden? Welche Akteur:innen, Netzwerke und Wissensflüsse sind zentral? Welche Zielstellungen sind außer dem Paradigma der Effizienzsteigerung sinnvoll und gewünscht?
– Wie kann kollaborative Technikentwicklung gelingen, durch welche Formate wird hier Wissen ko-produziert?
– Wie können anstelle vorgefertiger Robotiklösungen alltagsnahe, kostengünstige und anpassbare Roboter mit Nutzer:innen co-designt werden?
– Wie kann Roboterentwicklung für partizipative und transdisziplinäre Projekte auf heterogene Akteursgruppen eingehen und ggf. konkurrierende kulturelle Konzepte – bspw. von Fürsorge und Autonomie in der Pflege – adressieren?
– Wie kann Roboterentwicklung nachhaltig sein, indem sie rechtlich, ethisch und praktisch tragfähige Räume für gemeinsame Forschung schafft? Welche Möglichkeiten eröffnen sich in der Implementierung für Zweit- oder Drittnutzungen der entwickelten Roboter?
– Forschungspraktische und ethische Fragen nach Verantwortlichkeit, Zugang, Ethik und Haftung in solchen Projekten: Welche Art von Ethikantrag ist zu stellen? Wie lässt sich „Zugänglichkeit“ gestalten, wenn robotische Systeme hohe Anforderungen an technische und soziale Kompetenzen stellen?
Abstracts
Rosenthal-von der Pütten, Astrid
Extreme Citizen Science in HRI: Ist kollaborative Wissenschaft in Studien mit menschlichen Probanden möglich und wenn ja, wie?
Langzeitstudien in der Mensch-Roboter-Interaktion (HRI) sind selten, da sie mit hohen Kosten für Technologie, Wartung und geschultes Personal verbunden sind. Die Einbindung von Bürger*innen als „Extreme Citizen Scientists“ (Haklay, 2013) in alle Phasen des Forschungsprozess könnte ein Mittel sein, um diesem Problem zu begegnen. Welche Rolle(n) Citizen Scientists im Forschungsvorhaben übernehmen kann ganz unterschiedlich ausfallen: Sie könnten Roboter warten und Fehler beheben, bei der Datenerhebung sowie deren Auswertung helfen und wertvolle Einblicke in die Interpretation von Ergebnissen geben sowie die Entwicklung von Forschungsfragen mitarbeiten. Während sich Citizen-Science-Projekte typischerweise auf Städtetransformation, naturwissenschaftliche oder Umweltfragen konzentrieren, ist ihr Einsatz in der HRI und Psychologie selten, denn der Forschungsgegenstand sind Menschen und Studien mit menschlichen Probanden bringen bestimmte Erfordernisse mit sich. Wissenschaftler*innen haben das Potenzial von Citizen Science zur Überwindung von Einschränkungen in der psychologischen Forschung hervorgehoben, etwa bei der Generalisierbarkeit von Laborstudien (Hilton & Mehr, 2022). Ebenso wurden Risiken diskutiert, z.B. in Bezug auf Datenschutz (Jenett et al., 2014) und Datenqualität (Funke, 2022). Es müssen demnach Strategien entwickelt werden, um Bürgerwissenschaftler*innen über den gesamten Forschungsprozess hinweg zu schulen und einzubinden, während gleichzeitig wissenschaftliche Sorgfalt, ethische Standards und Datenschutz gewährleistet bleiben.
Graf, Philipp & Marquardt, Manuela
Zwischen Partizipation und Reproduktion: Der Weg von der mechanomorphen Vision zum vergeschlechtlichten Roboter
Die Entwicklung von Robotern ist geprägt durch die ontologischen und epistemischen Prägungen der patriarchal strukturierten Gesellschaft – ein Befund, den feministische STS-Wissenschaftler:innen wiederholt herausgearbeitet haben. Roboter werden üblicherweise als Ersatz menschlicher Arbeitskraft konzipiert, konstruiert und vermarktet. Dabei werden bestehende Bewertungssysteme von Arbeit und deren geschlechtliche Zuschreibung reproduziert oder sogar verstärkt. Um diese Muster zu durchbrechen, werden explorative, trans- und interdisziplinäre Designansätze gefordert und gefördert. Diese Kombination ist in der praktischen Umsetzung jedoch selbst nicht frei von patriarchalen Ordnungsmustern, die progressive Entwicklungen behindern können. Die Reproduktion solcher Muster erscheint mithin als Folgeproblem transformatorischen Ehrgeizes.
Unser Beitrag analysiert diesen Zusammenhang am Beispiel des Projekts MIA-PROM und identifiziert zentrale Prozesse. In dem Projekt haben Forscher:innen aus den Sozialwissenschaften und der HCI gemeinsam mit einem Patient:innenbeirat sowohl einen robotischen Agenten als auch einen virtuellen Avatar gestaltet; die letztliche Entscheidungshoheit lag beim Beirat. Das Ergebnis war ein anthropomorpher und weiblich zu lesender Agent. Mittels lebensweltlicher und ethnografischer Rekonstruktion der transdisziplinären Zusammenarbeit zeichnen wir nach, wie die progressive Vision (der Sozialwissenschaftler:innen) eines mechanomorphen, nicht-vergeschlechtlichten Agents dabei in der Praxis unterlaufen wurde. Im Fokus stehen dabei die strukturellen Bedingungen von Partizipation, der Gap zwischen wissenschaftlichen Diskursen und alltagsweltlichen Bewertungssystemen sowie die Rahmenbedingungen partizipativer Prozesse.
Baatz, Anna & Schäfer, Martina
Kollaborative Technikentwicklung: Potenziale und Herausforderungen am Beispiel des Co-Designs eines Roboters für die Landwirtschaft
Co-Design Ansätze sollen die Entwicklung von sozialverträglicher Robotik befördern, die den Bedürfnissen der Nutzenden entsprechen. In unserem Vortrag behandeln wir die transdisziplinäre Entwicklung des Unkrautbeseitigungsroboters Uckerbots mit Fokus auf die beteiligten Akteure, Co-Design Aktivitäten und die gemeinsame Wissensproduktion. Unsere detaillierte Analyse des Prozesses zeigt auf, wie Robotik Co-Design organisiert werden kann, wie es zur Generierung neuen Wissens beiträgt, aber auch welche Herausforderungen und Spannungsfelder auftreten können.
Für die Entwicklung des Uckerbots fanden verschiedene Co-Design Aktivitäten wie der Besuch landwirtschaftlicher Betriebe, Feldversuche, sowie Projektbesprechungen statt. Wie stellen heraus, inwiefern diese dazu beitrugen Wissen (1) zu den Bedarfen von Landwirten, (2) zur technischen Entwicklung des Roboters, und (3) zu förderlichen Bedingungen für den künftigen Einsatz des Roboters zu generieren. Wir zeigen, wie dieses Wissen die Entwicklung eines Prototyps und seine iterative Weiterentwicklung (bspw. hinsichtlich der Werkzeuge zur Unkrautbeseitigung oder die Art der Fortbewegung) speiste. Das ko-produzierte Wissen erhöhte die Passung mit den Bedarfen von Landwirten und sozio-materiellen Aspekten wie der Bodenbeschaffenheit. Herausforderungen zeigten sich insbesondere im Umgang mit den langwierigen, ergebnisoffenen Co-Design Prozessen. Diese ließen sich nur bedingt mit wissenschaftlichen Anforderungen an den systematischen Aufbau von Feldverssuchen noch mit dem Alltag in landwirtschaftlichen Betrieben gut vereinbaren.
Siedl, Sandra Maria & Meyer, Kathrin
Nutzer:innenzentriertes Co-Design industrieller Exoskelette: Erkenntnisse aus einem partizipativen Ideation-Workshop
Exoskelette sind körpergetragene Assistenzsysteme, die bei physisch anstrengenden Arbeiten Entlastung bringen sollen. Industrielle Exoskelette stellen eine neue Möglichkeit zur Unterstützung von Mitarbeiter:innen an Arbeitsplätzen mit hoher körperlicher Arbeitsbelastung dar, z.B. bei Wartungsarbeiten an Flugzeugen oder anderen Überkopfarbeiten. Wie können industrielle Exoskelette aber so weiterentwickelt werden, dass sie sich an realen Arbeitsbedingungen und Bedürfnissen der Nutzer:innen orientieren?
In einem partizipativen Ideation-Workshop gemeinsam mit acht erfahrenen Anwender:innen industrieller Exoskelette wurde diese Frage aufgegriffen. Ziel war es, Potenziale zur mittel- und langfristigen Verbesserung bestehender Exoskelett-Systeme zu erarbeiten, um diese gezielter auf die Bedürfnisse der Nutzer:innen auszurichten. Es wurden persönliche Erfahrungen am Arbeitsplatz sowie eigene Vorstellungen und Wünsche zusammengetragen, reflektiert und in konkrete Gestaltungsideen übersetzt. Entstanden sind Ideen für alltagsnahe Exoskelett-Lösungen, die unter anderem Aspekte wie die ergonomische Anpassbarkeit, Komforterleben, Ästhetik, Systemwartung und Autonomie umfassen. Die Ergebnisse bildeten eine qualitative Grundlage für die weitere Entwicklung eines verbesserten, nutzer:innenzentrierten Systemdesigns und heben die Bedeutung der Beteiligung von Arbeiter:innen als tatsächliche und potenzielle Exoskelettnutzer:innen hervor.
Als Impulse für weitere kollaborative Technikentwicklung stellt dieser Kurzvortrag die eingesetzten Methoden vor und gibt Einblicke in die Herausforderungen bei der partizipativen Forschungs- und Entwicklungsarbeit mit Personen, die Robotiklösungen in ihrem Berufsalltag nutzen.
