Thematische Session 6.3

Vogl, Malte; Steudle, Gesine & Wolf, Sarah

Modellgestützte Partizipationsformate und partizipationsgestützte Modellierung

Für eine Vielzahl von Anwendungen werden mathematische Simulationsmodelle
entwickelt, die aus vorhandenen Messdaten und weiteren Annahmen mögliche
Zukünfte simulieren und visualisieren, z.B. zur Ausbreitung von Epidemien, zur
Verkehrsplanung, Ressourcenmanagement oder Regionalentwicklung.
Solche Modelle können in partizipativen Prozessen an verschiedenen Stellen und
mit verschiedenen Zielen eingesetzt werden. Der Leitfaden für Partizipation in
der Forschung skizziert drei grundlegende Dimensionen von Partizipation –
in der Forschungsplanung, in der Durchführung von Forschungsprojekten und in der
Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden und -ergebnissen. Ähnlich lassen
sich Stufen der Kombination von Modellierung und Partizipation betrachten:
die Verwendung von Modellen in partizipativen Formaten erlaubt eine Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden (u.a. den Modellen selbst) und kann zur
Ko-Produktion von Forschungsergebnissen führen. Darüber hinausgehend
stellt die partizipative Entwicklung von Modellen eine Form der Partizipation
in Forschungsprozessen dar, in denen gegebenenfalls auch die Forschungsfragen
und -agenda Teil des partizipativen Prozesses sein können. Ein weiteres Ziel
kann die Unterstützung von politischen Entscheidungsprozessen sein.

In dieser thematischen Session wollen wir Menschen aus der Forschung und
Praxis zusammenbringen, die partizipative, modellgestützte Formate entwickelt
und/oder erprobt haben für die Entwicklung und Kommunikation der mathematischen Modelle, die technischen Systeme für die Diskussion und Nutzung
dieser Simulationen und die eigentliche Diskussion unter Anwendung der Simulationswerkzeuge mit Entscheidungsträgern. Dabei wollen wir folgende Fragen diskutieren:

• Was unterscheidet modellgestützte Diskussionsformate von anderen? Welche Rolle spielen Daten, Modelle und modellierte Szenarien für die Diskussion?
• Was können die Ergebnisse modellgestützter Diskussionsformate sein (für
alle Teilnehmenden bzw. speziell für Modellierer:innen und Nichtmodellierer:innen)?
• Welche Rolle spielen die Wissensungleichgewichte zwischen Modellierer:innen und Teilnehmer:innen?
• Wie kann man (komplexe) Modelle durch Laien kritisierbar machen?
• Wie kann man mathematische Modelle/Simulationswerkzeuge partizipativ
entwickeln? Was sind ”best practices“, was sind die Grenzen? Wo und in
welcher Form können Inputs der Nichtmodellierer:innen einfließen?
• Welche Rolle können Spiele bzw. ”gamefication“ einnehmen?

Als Output der thematischen Session wird ein Whitepaper angestrebt, welches einen Überblick über die bereits entwickelten Ansätze geben wird. Zudem werden zukünftige Forschungsfragen und wünschenswerte Entwicklungsrichtungen aufgezeigt. Hierzu wird während der Session eine vorstrukturierte Notizensammlung bereitgestellt, die kollektiv von allen Teilnehmenden gefüllt werden kann.

Abstracts

Herzog, Rico H & Probst, Viktoria

Co-Modellierung für Urbane Digitale Zwillinge: Erfahrungen, Anwendungen und Methoden im Reallabor Hamburg

Urbane Digitale Zwillinge finden zunehmend Einsatz in der integrierten Stadtplanung. Ausgestattet mit (Fach-)Daten, Modellen und verschiedenen Anwendungen sollen sie die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Stadtentwicklung unterstützen. Die zugrundeligenden „Was wäre, wenn?“ Szenarien werden mittels diverser Algorithmen berechnet, die insbesondere im Fall von sozialen Simulationen immer auch mit Annahmen verbunden sind. Im Rahmen der transformativen Forschung im „Connected Urban Twins“ Projektes – eines der aktuell größten deutschen Smart City Projekte – erforscht das City Science Lab an der HafenCity Universität Hamburg unter anderem Möglichkeiten und Technologien, um diese Annahmen partizipativ auszuhandeln und Modelle und mathematische Algorithmen zu co-kreieren. Ziel des Vortrags ist es, einen Überblick über die Aktivitäten und Ergebnisse der vergangenen drei Jahre zu geben sowie praktische Erfahrungen im Bereich der Co-Modellierung zu teilen. Hierbei wird auf zwei Realexperimente im Bereich Klimagentrifizierung und im Bereich FabCity zurückgegriffen, die die Durchführung von partizipativen Modellierungsprozessen untersuchten. Um insbesondere die Schnittstelle zwischen Multi-Stakeholder Prozessen und technologischer Implementierung der Modelle zu vereinfachen, wurde das Open Source Webtool „Urban Model Builder“ entwickelt, um browserbasiert und kollaborativ an städtischen Modellen arbeiten zu können. Eine kurze Vorstellung des Tools adressiert die Fragestellung, wie die partizipative Entwicklung der Modelle auf technischer Ebene stattfinden kann.

Droste-Franke, Bert & Voge, Markus

Modellgestützte Partizipation und transdisziplinäre Modellierung im Innovation Lab des IQIB

Die zweckmäßige und zukunftsfähige Gestaltung neuer Technologien erfordert es in einigen Bereichen komplizierte oder sogar komplexe Zusammenhänge der verschiedenen relevanten Rahmenbedingungen zu berücksichtigten. Das ist unter anderem im Bereich der Energieversorgung der Fall. Neue Technologien müssen die erforderlichen technischen Aufgaben erfüllen, aber auch ressourcen- und umweltseitigen sowie gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen. Dabei sind soziotechnische systemische Zusammenhänge und naturwissenschaftlich bekannte Erkenntnisse zu berücksichtigen. Diese können oftmals am besten durch Modelle abgebildet werden, deren Ergebnisse idealerweise möglichst niederschwellig in Diskurse eingebunden werden sollten.

Vor diesem Hintergrund wurde am IQIB (früher: EA European Academy of Technology and Innovation Assessment) das Innovation Lab entwickelt und umgesetzt, mit dem komplexe Zusammenhänge in Co-Design-Prozessen und deliberativen Diskursen berücksichtigt werden können. Das Lab wurde in diversen Projekten zur transdisziplinären Gestaltung von Modellen und Analysen sowie für modellunterstützte Partizipation bzw. Empowerment von Praktikern verwendet. Im Vortrag werden das Lab und seine Funktionalität vorgestellt und Erfahrungen mit seiner Nutzung aus verschiedenen Projekten sowie aktuell und zukünftig vorgesehene Nutzungen vorgestellt und diskutiert. Zu den Projekten gehören unter anderem EnAHRgie (BMBF), ReMoDigital, WiETrans, EnergieregionPlus, MANIFOLD und InnoSEn (BMWK/BMWE).

Im Fazit werden sich abzeichnende Möglichkeiten und Grenzen des Innovation Labs beleuchtet.

Steindorff, Jenny-Victoria; Schirmer, Marielle; Kalter, Ivonne & Fink, Franziska

Partizipative Forschung gestalten – Entwicklung einer Reflexionscheckliste für teilhabeorientierte Forschungs- und Entwicklungsprojekte (FuE) durch Peer Review

Partizipation gilt in der Gesundheitsversorgung sowie im Kontext von Forschungs- und Entwicklungsprojekten (FuE) zu digital assistiven Technologien zunehmend als zentrales Prinzip und essentieller Gelingensfaktor. Trotz ihrer politischen und praktischen Relevanz mangelt es bislang an praxisnahen Instrumenten, die eine strukturierte Einbindung relevanter Interessengruppen über den gesamten Projektverlauf hinweg unterstützen. Vor diesem Hintergrund wurde eine Checkliste zur systematischen Gestaltung partizipativer FuE-Projekte im Bereich innovativer Versorgungsansätze entwickelt:

Basierend auf dem PGF-Modell (Schaefer et al. 2022) sowie den Evaluationskriterien von Alpiger & Vatter (2015) entstand in einem iterativen, methodisch fundierten Prozess ein praxisorientierter Leitfaden. Wissenschaftliche Mitarbeitende mehrerer BMFTR-geförderter, innovationsoffener Versorgungsprojekte führten im Rahmen eines Peer-Review-Verfahrens einen zyklischen, literaturbasierten Entwicklungs- und Evaluationsprozess durch und ergänzten diese um eigene Lessons Learned.

Im Fokus des Vortrages steht die spezifische Vorgehensweise der Arbeitsgruppe, die eine Validierung unter Berücksichtigung sowohl wissenschaftlicher, als auch zivilgesellschaftlicher Perspektiven ermöglichte. Die daraus resultierende Checkliste umfasst sechs zentrale Dimensionen – Transparenz, Einbindung, Respekt und Dialog, Triebkräfte, Rahmenbedingungen, Information und Kompetenz – und adressiert explizit Herausforderungen interdisziplinärer (Technik-)Entwicklungsprozesse für die Gesundheitsversorgung. Gesammelte Erfahrungen unterstreichen den Mehrwert dieses Reflexions-, Planungs- und Evaluationsinstrumentes. Eine digitale Umsetzung sowie sprachliche Vereinfachung sind in Entwicklung, um den Transfer in diverse Projektkontexte zu erleichtern und die Partizipation weiter zu stärken.

Kocheril, Geo & Stührmann, Torben

Digitale Formalisierungsansätze als integrative Brücken in inter- und transdisziplinären Forschungsprojekten?

Forschungsprojekte im Kontext der Energie- und Industrietransformation sind häufig inter- und transdisziplinär und beteiligen Stakeholder aus Politik, Verwaltung, Industrie und Zivilgesellschaft. Wir betrachten die Beispielprojekte
◦ hyBit und hyTracks: Untersuchung urban-industrieller Transformation mit regionalen Stakeholdern
◦ QUARREE100: Analyse nachhaltiger Strom- und Wärmeversorgung auf Quartiersebene mit Bürgerbeteiligung
◦ H2 Media: Verknüpfung qualitativer Mediendiskursanalysen mit Ontologien und Knowledge Graphs für eine Agentenbasierten Modellierung (ABM)
Alle Projekte teilen die Herausforderung, disziplinäre Daten, Modelle und Methoden sowohl interdisziplinär als auch transdisziplinär mit Praxis-, System- und Zielwissen von Stakeholdern zu integrieren. Der Vortrag skizziert deshalb semantische Probleme der konsistenten Forschungsintegration sowie Herausforderungen partizipativer Prozess- und Rollengestaltung. Gezeigt wird, wie die Verbindung von interdisziplinären Forschungsprozessen mit Partizipationsprozessen durch co-kreative Ansätze die Gestaltung von Rollen und Prozessen beeinflusst.
Vorgestellt werden Erkenntnisse, Lösungsansätze und Ideen aus den Projekten. Erprobte Formate wie Umfragen, Interviews, Workshops, Frameanalyse, Szenarienanalyse und ABM werden durch formalisierte Ansätze wie Ontologien, Knowledge Graphen, Standards und Large Language Models (LLM)/Retrieval-Augmented Generation (RAG) ergänzt. Der Praxisnutzen zeigt sich in der gemeinsamen Entwicklung von boundary concepts wie Storylines, Szenarien und modellgestützten Entscheidungsunterstützungssystemen (DSS). Abschließend gibt der Vortrag einen Ausblick auf nächste Forschungsschritte und lädt zur Diskussion über Herausforderungen und Lösungsansätze aus anderen Projekten ein.

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