Leipziger KUBUS | Aula 1B
Zeit:
Freitag, 14.11.2025
10:30 – 12:00 Uhr
Thematische Session 6.2
Für wen, mit wem, wozu?
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Vorträge
Wenger, Ariane & Hofmann, Benjamin
Transformative Beziehungen von Wissenschaft und Gesellschaft: Eine Typologie für das Anthropozän
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Adamescu, Alexandra
Forscherin, Vermittlerin, oder gleichberecthigte Partnerin? Ein Balanceakt zwischen den unterschiedlichen Rollen von Forschenden im Rahmen eines transformativen Prozesses. Reflexionen zur Phase Null eines transformativen Prozesses in Bukarest, Rumänien
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Serifovic, Adis; Mahve-Beydokhti, Mathieu & Arth, Lara
Das Triangle of Impact: Interessenskonflikte verstehen und reflektieren – zwischen Förderlogiken, Wissenschaft und gesellschaftlicher Teilhabe
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Rose, Michael
Wissenskumulation für die sozial-ökologische Transformation
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Thematische Session 6.2
Leipold, Sina & Rode, Julian
Für wen, mit wem, wozu? Was Wissenschaft braucht, um Zukunft mitzugestalten
Partizipative und transformative Wissenschaft rückt zunehmend in den Fokus – nicht nur in politischen und gesellschaftlichen Debatten, sondern auch in vielen wissenschaftlichen Disziplinen. Zugleich zeigt sich in der Forschungspraxis: Zwischen Anspruch und gelebter Realität bestehen oft Spannungen. Obwohl Inter- und Transdisziplinarität intensiv erforscht werden, bleiben einige zentrale Aspekte in der Forschung sowie in der praktischen Umsetzung inter- und transdisziplinärer Ansätze bislang unterbeleuchtet. Dazu zählen z.B.:
• Welche Arten von Wissen nützen Politik und Gesellschaft am meisten (z.B. Park et al. 2023, Newig et al. 2023, Hofmann et al. 2025)?
• Welche Rolle spielen Werte – sowohl in der Forschung selbst als auch in ihrer Vermittlung (Horcea Milcu et al. 2019, Hazard et al. 2020, Turnhout 2024)?
• Welche Narrative prägen wissenschaftliches Arbeiten und die Art, wie Forschung in gesellschaftliche Kontexte eingebettet wird? (Leipold et al. 2024, Fischer et al. 2025)?
• Wer bestimmt, welches Wissen als relevant gilt, und wie lassen sich marginalisierte Perspektiven systematisch einbeziehen (z.B. Tengö et al. 2014, Chambers et al. 2021)?
Diese Fragen entfalten sich vor dem Hintergrund institutioneller Spannungsfelder: Transformative Forschung erfordert oft lange Zeiträume, Beziehungsarbeit und Unsicherheiten – passt jedoch kaum zu den bestehenden Anreizsystemen der Wissenschaft (Schneidewind & Singer-Brodowski 2013, WBGU 2011).
Dieser Workshop lädt Wissenschaftler:innen aller Disziplinen ein, gemeinsam zu diskutieren:
• Wie kann Wissensproduktion transformative Prozesse und Ideen fördern?
• Wie können Narrative, Werte und Machtverhältnisse, Teilhabe und epistemische Gerechtigkeit in der Forschungspraxis produktiv genutzt werden?
• Welche institutionellen Rahmenbedingungen helfen, neue Wissenschaftsverständnisse und -praktiken aufkeimen zu lassen?
Willkommen sind sowohl konzeptionelle Reflexionen als auch konkrete Fallstudien aus transdisziplinären Projekten oder institutionellen Veränderungsprozessen. Lasst uns gemeinsam ausloten, was Wissenschaft braucht, um Wandel nicht nur zu analysieren, sondern aktiv zu ermöglichen.
Die Session kombiniert 4 Fachvorträge (60 Min) mit einer strukturierten Diskussionsrunde (30 Min), die Raum für Kontroversen, Reflexion und Vernetzung bietet.
Abstracts
Wenger, Ariane & Hofmann, Benjamin
Transformative Beziehungen von Wissenschaft und Gesellschaft: Eine Typologie für das Anthropozän
Dieser Vortrag untersucht die verschiedenartigen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, die in Reaktion auf die zunehmenden, menschgemachten Umweltveränderungen des Anthropozäns entstehen. Wir entwickeln eine neuartige Typologie von Wissenschaft-Gesellschaft-Beziehungen entlang zweier Dimensionen: i) langfristige Mobilisierung gesellschaftlicher Akteure (z.B. durch Wissenskoproduktion über Projektzeiträume hinaus) und ii) angestrebte Veränderung bestehender Systemstrukturen (z.B. durch kritische Reflexion von Entscheidungsprozessen und Machtstrukturen). Empirisch wenden wir diese Typologie auf die gesellschaftlichen Beziehungen von Forschungsprojekten an, die sich mit Auswirkungen des Klimawandels und der Anpassung daran befassen. Mit Finnisch Lappland und dem Schweizer Kanton Graubünden konzentrieren wir uns dabei auf zwei Regionen, in denen der Klimawandel besonders schnell voranschreitet. Wir ergründen, inwiefern dieser Kontext den Wandel hin zu transformativer Wissenschaft begünstigt und welche anderen Faktoren von Bedeutung sind. Der Vortrag präsentiert erste empirische Erkenntnisse aus der qualitativen Analyse von Interviews mit Forschenden und gesellschaftlichen Akteuren, die in diesen Regionen aktiv sind. Unsere Ergebnisse tragen zur Debatte über die zukünftige Entwicklung transformativer Wissenschaft und ihre Rollen in der Gesellschaft bei. Konkret erlauben sie Schlussfolgerungen dazu, wie Wissensproduktion gestaltet und organisiert werden kann, um transformative Prozesse und Ideen zu fördern.
Adamescu, Alexandra
Forscherin, Vermittlerin, oder gleichberecthigte Partnerin? Ein Balanceakt zwischen den unterschiedlichen Rollen von Forschenden im Rahmen eines transformativen Prozesses. Reflexionen zur Phase Null eines transformativen Prozesses in Bukarest, Rumänien
In transformativen Prozessen (sensu Horcea-Milcu et al., 2024) übernehmen Forschende mehrere Rollen: Wissensproduktion, Vermittlung eines transdisziplinären Prozesses mit Konflikten und Mitgestaltung mit lokalen Akteuren. Diese Rollen überschneiden sich, stehen jedoch auch in Spannungsverhältnissen. In meinem Vortrag reflektiere ich über die „Phase Null“ (Horcea-Milcu et al., 2022) eines transformativen Prozesses in Bukarest und die damit verbundenen Werte. Mein Wissenschaftsverständnis basiert auf einer transformativen Weltanschauung (Creswell, 2014) und bezieht kritische Nachhaltigkeitswissenschaft mit ein (Longo et al., 2025). Die Auswahl meiner Fallstudie – abgeschlossen im Juni – umfasste Einzelgespräche, Veranstaltungsbesuche und Feldnotizen über vier Monate hinweg. Folgende Spannungsfelder haben sich ergeben: Die Spannung zwischen der Rolle als Forscherin und der als ebenbürtige Partnerin. Wessen Forschungsinteresse hat vorrang und warum? Eine andere Spannung ergab sich aus der Rolle als Forscherin und der als Vermittlerin: Was interessiert mich als Forscherin bzw. wo wird ein transdisziplinärer Prozess gebraucht? Eine Spannung zwischen allen Rollen ergibt sich wenn es um die Beziehung zwischen Kritik an politischen und wirtschaftlichen Machtdynamiken und Handlung geht. Sollte man Handeln prioritisieren? Kann man Kritik überhaupt zum Vorschein bringen? Mein Umgang mit diesen Spannungsfeldern wurde durch relationale Tugendethik (Aristoteles), utilitaristische Prinzipien (Smart, 2013) sowie Resonanzkriterien (Rosa, 2016; Schösser, unpublished) geleitet.
Serifovic, Adis; Mahve-Beydokhti, Mathieu & Arth, Lara
Das Triangle of Impact: Interessenskonflikte verstehen und reflektieren – zwischen Förderlogiken, Wissenschaft und gesellschaftlicher Teilhabe
Partizipative Forschung bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen institutionellen Förderlogiken, wissenschaftlichen Leistungserwartungen und dem Anspruch gesellschaftlicher Teilhabe. Das „Triangle of Impact“ ist ein neu entwickeltes Reflexionstool, das diese strukturellen Machtasymmetrien sichtbar macht und zur kritischen Auseinandersetzung mit bestehenden Rollenbildern, Erwartungen und Bewertungsmaßstäben einlädt. Das Modell basiert auf theoretischen Vorarbeiten aus der Impact- und Partizipationsforschung und wurde in einem co-kreativen Prozess mit Expert:innen aus Forschung, Förderinstitutionen und Zivilgesellschaft entworfen. Es versteht sich nicht als Bewertungsinstrument, sondern als praxisnahes Werkzeug, das die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteursgruppen unterstützt, Dialog anregt und auf strukturelle Ausschlüsse aufmerksam macht.
Im Vortrag wird das Modell vorgestellt, zentrale Spannungsfelder werden anhand konkreter Beispiele skizziert und erste Rückmeldungen aus einem Expert:innenworkshop bei einer internationalen Konferenz in Madrid diskutiert. Ziel ist es, gemeinsam mit der Community weiterzuentwickeln, wie partizipative Forschung auch auf struktureller Ebene gestärkt und anerkannt werden kann.
Rose, Michael
Wissenskumulation für die sozial-ökologische Transformation
Welche Arten von Wissen nützen Politik und Gesellschaft am meisten und wie können sie zielgerichtet kumuliert und integriert werden? Transdisziplinäre, partizipative und transformative Wissenschaft haben den Anspruch, sozial robustes Wissen zu produzieren und ggf. direkt anzuwenden, um zur Lösung konkreter gesellschaftlicher Herausforderungen beizutragen, beispielsweise im Kontext der sozial-ökologischen Transformation oder der Umweltgesundheit. Erfahrung und Forschung zeigen, dass diese anspruchsvollen Ziele in der Praxis häufig zu Trade-Offs führen: Projekte erreichen entweder gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Impact, aber selten beides zusammen (oder sie scheitern). Die Einhaltung hoher (methodischer) wissenschaftlicher Standards und ein Fokus auf Forschungsstand und -lücken und (disziplinäre) wissenschaftliche Qualifikation sind mitunter inkompatibel mit transformativen Forschungsdesigns und den Bedürfnissen gesellschaftlicher Akteure. Zudem basiert inter- und transdisziplinäre Forschung oft auf einem fragmentierten, selektiven Forschungsstand, der die sprichwörtliche Neuerfindung des Rades befördert, anstatt den Wissensstand kumulativ auszubauen. Gerne hätte man alles in einem: evidenzbasierte state-of-the-art Entscheidungsgrundlagen, die selbstreflexive Einbeziehung heterogener Wissensträger:innen zur Integration von wissenschaftlichem, lokalem, indigenem und erfahrungsbasiertem Wissen und passgenaue Praxisempfehlungen. Auf Basis eines aktuellen Special Issues (Environmental Policy and Governance, Spätsommer 2025) synthetisiert und reflektiert dieser Beitrag Erkenntnisse dazu, wie sich diese verschiedenen Wissensarten und Ziele konzeptionell und empirisch zueinander verhalten und was dies für eine transdisziplinär-orientierte Wissenskumulation bedeuten könnte.
