Thematische Session 4.1

Bischof, Andreas; Rosenthal-von der Pütten, Astrid; Schäfer, Martina & Baatz, Anna

Partizipative und transdisziplinäre Roboterentwicklung 2

Die Entwicklung von Robotern war lange Zeit auf Labore und Fabrikhallen beschränkt. Die Integration von Robotern in Felder wie Landwirtschaft, Pflege und den häuslichen Alltag verlangt nach neuen Formen der Technikentwicklung, die partizipativ, transdisziplinär und anwendungsnah gestaltet sind. Diese Session versammelt Beiträge, die den Anspruch verfolgen, Roboter gemeinsam mit Nutzer:innen und anderen relevanten Akteuren so zu entwickeln und anzuwenden, dass sie langfristig sinnvoll, nachhaltig und sozial eingebettet nutzbar sind. Dabei stehen methodische, soziale, rechtliche und ethische Dimensionen der partizipativen Technikentwicklung im Vordergrund.
Durch die Teilhabe von Nutzer:innen in allen Stadien des Entwicklungsprozesses entfaltet sich das volle Potenzial für eine sinnvolle, flexible, anpassbare und dadurch langfristige Nutzung von Robotern. Gute Praxis bedeutet hier das Schaffen von Infrastrukturen für gemeinsames Forschen, Lernen und Weiterentwickeln. Der Einsatz offener Software- und Hardware-Standards, rechtlich tragfähiger Kooperationsformate und inklusiver Bildungsangebote ist dabei essentiell.
Die Beiträge sollen den Mehrwert dieser Forschungsmodi für die Entwicklung sinnvoller Robotik aufzeigen. Willkommen sind Beiträge aus verschiedenen Disziplinen und Anwendungsfeldern, die zur gemeinsamen Reflexion über Kriterien guter Praxis für partizipatives und transdisziplinäres Arbeiten in der Roboterentwicklung einladen, und anregen, wie diese so gestaltet werden kann, dass sie zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beiträgt.
Zu den möglichen Themen der Session gehören folgende Fragen:
– Wie können technische Problemdefinition und Bedarfe der anvisierten Nutzer:innen kontinuierlich –über verschiedene Entwicklungsphasen hinweg– abgeglichen werden? Welche Akteur:innen, Netzwerke und Wissensflüsse sind zentral? Welche Zielstellungen sind außer dem Paradigma der Effizienzsteigerung sinnvoll und gewünscht?
– Wie kann kollaborative Technikentwicklung gelingen, durch welche Formate wird hier Wissen ko-produziert?
– Wie können anstelle vorgefertiger Robotiklösungen alltagsnahe, kostengünstige und anpassbare Roboter mit Nutzer:innen co-designt werden?
– Wie kann Roboterentwicklung für partizipative und transdisziplinäre Projekte auf heterogene Akteursgruppen eingehen und ggf. konkurrierende kulturelle Konzepte – bspw. von Fürsorge und Autonomie in der Pflege – adressieren?
– Wie kann Roboterentwicklung nachhaltig sein, indem sie rechtlich, ethisch und praktisch tragfähige Räume für gemeinsame Forschung schafft? Welche Möglichkeiten eröffnen sich in der Implementierung für Zweit- oder Drittnutzungen der entwickelten Roboter?
– Forschungspraktische und ethische Fragen nach Verantwortlichkeit, Zugang, Ethik und Haftung in solchen Projekten: Welche Art von Ethikantrag ist zu stellen? Wie lässt sich „Zugänglichkeit“ gestalten, wenn robotische Systeme hohe Anforderungen an technische und soziale Kompetenzen stellen?

Abstracts

Tirschmann, Felix & Brukamp, Kirsten

Partizipative Technologieentwicklung mit vulnerablen Gruppen: Herausforderungen am Beispiel der Assistenzrobotik für Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen

Hintergrund: Assistenzrobotik kann das Alltagsleben bei motorischen Einschränkungen erleichtern. Insbesondere vulnerable Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen würden von dieser Technologie profitieren, da sie häufig unter fortschreitenden Lähmungserscheinungen leiden. Im Projekt „Assistenzrobotik für den pflegerischen Einsatz bei Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen (ArNe)“ wurden verbesserte Robotersteuerungen entwickelt, um die Selbstständigkeit der Betroffenen zu fördern.

Methodik: Partizipative Technologieentwicklung integrierte Betroffene aktiv in den Forschungsprozess. Qualitative Interviews und iterative Tests mit einer grafischen Nutzungsoberfläche lieferten wichtige Erkenntnisse für die Anforderungsanalyse. Betroffene konnten Testszenarien mitgestalten und Verbesserungsvorschläge einbringen, welche in den weiteren Entwicklungsprozess einflossen. Evaluationen mit Angehörigen der Zielgruppe, unter Einbezug klassischer Usability-Methoden, unterstützten die bedarfsgerechte Gestaltung der Assistenztechnologie.

Ergebnisse: Mit partizipativer Technologieentwicklung wurden relevante Verbesserungspotenziale bei der Robotersteuerung identifiziert. Betroffene entwickelten praxisnahe Nutzungsszenarien, die zu akzeptierten Lösungen führten und den tatsächlichen Bedürfnissen entsprachen. Darüber hinaus trug ihre Mitwirkung zu einer differenzierten Einschätzung der gewünschten Autonomie technischer Systeme sowie der individuellen Grenzen robotischer Unterstützung im Alltag bei.

Schlussfolgerungen: Partizipative Methoden bieten tiefgreifende Einblicke in die Lebensrealitäten vulnerabler Personen mit körperlichen Mobilitätseinschränkungen und fördern eine nutzungsorientierte Technologieentwicklung. Erfolgsorientierte Faktoren umfassen Barrierefreiheit, Wertschätzung und transparente Einflussmöglichkeiten. Herausforderungen entstehen durch individuelle Krankheitsverläufe und Sprechfähigkeitsverluste. Nachhaltige Entwicklung erfordert deshalb adaptive, inklusive und ethisch reflektierte Ansätze mit kontinuierlicher Einbindung der Betroffenen.

Bischof, Andreas

Robotik für die Pflege zwischen Lebenswelt und Technik: Bedingungen, Herausforderungen und Methoden partizipativer Gestaltung

Die wachsende gesellschaftliche Relevanz von Pflegearbeit trifft auf zunehmend prekäre Rahmenbedingungen: Demografischer Wandel, Arbeitskräftemangel und die strukturelle Auslagerung häuslicher Pflege an Angehörige erzeugen einen konstanten Druck, unter dem sich technologische Lösungen zunehmend als Allheilmittel präsentieren.

Voraussetzungen partizipativer Arbeit

Partizipative Gestaltungsansätze im Pflegebereich setzen voraus, dass die Lebenswelt pflegender Angehöriger als zentraler Ausgangspunkt anerkannt wird. Dies bedeutet, Pflegende und Zu-Pflegende nicht als passive Nutzer:innen technologischer Innovationen zu behandeln, sondern als Expert:innen ihrer eigenen Situation, deren Alltagserfahrungen und Bedarfe die Basis jeder Technikentwicklung bilden müssen. Das betont die Notwendigkeit einer dialogischen, auf Augenhöhe stattfindenden Zusammenarbeit, in der pflegende Angehörige nicht nur konsultiert, sondern aktiv beteiligt werden.

Kritische Aspekte

Gleichzeitig zeigt sich, dass die bisherige partizipative Arbeit der Robotik im Pflegesektor strukturelle Grenzen aufweist. Pflegende Angehörige und professionelle Pflegekräfte stehen häufig unter chronischem Zeit- und Kraftmangel, was ihre Beteiligung an Forschungs- oder Entwicklungsprozessen erheblich erschwert. Partizipative Designprozesse in diesem Feld scheitern häufig daran, dass die Lebensrealität der Pflegenden mit den Anforderungen langfristiger, reflexiver Entwicklungsprozesse nicht kompatibel ist.

Ein weiterer kritischer Aspekt liegt in der Instrumentalisierung von Technik als vermeintlich neutraler Lösung für systemische Probleme in der Pflege. Pflegerobotik wird diskursiv als Antwort auf die „Pflegekrise“ überhöht, obwohl weder technologische Reife noch gesellschaftliche Akzeptanz unter den aktuellen Umständen ausreichend gegeben sind. Vielmehr verschleiert der Lösungsdiskurs grundlegende Interessenskonflikte zwischen ökonomischer Effizienzlogik und professioneller Pflegeethik und reproduziert mechanistische Vorstellungen von Pflege, die der Komplexität menschlicher Sorgebeziehungen nicht gerecht werden.

Methodische Bewältigung

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es sensibler, lebensweltlich verankerter Methoden. Als vielversprechender weist sich das Instrument der „Cultural Probes“ – eine Methode, bei der pflegende Angehörige mit gestalterischen Aufgaben dazu eingeladen werden, ihre Pflegesituation eigenständig zu dokumentieren. Die Methode ermöglicht eine asynchrone, niedrigschwellige Teilnahme, die sich dem Alltagstakt der Pflegenden anpasst. Gleichzeitig bleibt sie jedoch anfällig für dieselben Belastungen, die partizipative Prozesse generell erschweren: Erschöpfung, Schuldgefühle bei Nicht-Teilnahme und das Fehlen mentaler Ressourcen für Reflexion.

Fazit

Partizipative Technikentwicklung in der Pflege ist kein rein methodisches Unterfangen, sondern ein tief politischer und sozialer Prozess. Sie setzt die Anerkennung pflegender Angehöriger und professioneller Pflegekräfte sowie Zu-Pflegender als zentrale Akteur:innen voraus, deren Alltag nicht nur Gegenstand, sondern Ausgangspunkt technischer Innovation sein muss. Erfolgreiche partizipative Arbeit zu Robotik in der Pflege gelingt nur dann, wenn strukturelle Machtverhältnisse hinterfragt, zeitliche und emotionale Einschränkungen anerkannt und methodische Formate radikal an die Lebenswelt der Betroffenen angepasst werden.

Paluch, Richard & Müller, Claudia

„Das ist etwas für Kinder“: Eine autoethnographische Studie zu den Haltungen und Praktiken von Betreuungskräften und Pflegeheimbewohner:innen bezüglich robotischer Haustiere

Unsere partizipative Studie in einem Seniorenpflegeheim untersuchte, wie Betreuungskräfte und Bewohner:innen Robotertiere im Pflegealltag verwenden und diese Erfahrungen reflektieren. Grundlage war ein autoethnographisches Forschungsdesign, in dem die Betreuungskräfte ihre Interaktionen mit Roboterkatzen und -hunden sowie mit den Bewohner:innen eigenständig dokumentierten. Sie erstellten Foto-, Video- und Textmaterial und teilten dieses über Instant-Messenger mit der universitären Forschungsgruppe. Da ein Zugang zur Einrichtung pandemiebedingt nicht möglich war, übernahmen die Betreuungskräfte eigenverantwortlich die Datenerhebung und koordinierten den Austausch sowohl mit den Bewohner:innen als auch mit uns als externem Forschungsteam.
Der partizipative Ansatz schuf einen Raum für gemeinsames Lernen und co-kreative Technikgestaltung, in dem reflexive Aushandlungen zwischen Alltagspraxis, individuellen Haltungen und technologischer Unterstützung möglich wurden. Die Co-Forschenden entschieden eigenständig, wie sie die Interaktionen festhielten und welche Aspekte sie in die Reflexion einbringen wollten. So entstanden alltagsnahe, situativ anschlussfähige Formen der Zusammenarbeit, in denen Robotertiere sinnvoll in bestehende Pflegepraktiken eingebunden wurden.
Die Ergebnisse verdeutlichen das Potenzial partizipativer, autoethnographischer Forschung, neue Perspektiven auf den Einsatz assistiver Technologien in der Pflege zu eröffnen. Zugleich unterstreichen sie, dass kollaborative Formate dazu beitragen können, nachhaltige Lern- und Gestaltungsprozesse zwischen Praxis und Wissenschaft auch unter erschwerten Bedingungen zu realisieren, insbesondere wenn adressierte Personengruppen als aktive Mitgestaltende in die Forschungsprozesse eingebunden werden.

Nach oben scrollen