Leipziger KUBUS | Saal 2A
Zeit:
Freitag, 14.11.2025
13:30 – 15:00 Uhr
Thematische Session 7.4
One Health, Many Voices – Transdisziplinäre Forschung an den Schnittstellen von Tier, Mensch und Umwelt
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Vorträge
Rogoll, Lisa & Schulz, Katja
Getting a Handle on Public Health – Lektionen aus der Choleraepidemie in London
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Gieser, Thorsten
Entangled Lives: Partizipative Prozesse in der Multispezies-Gegenwart
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Dürr, Salome
Warum die Hundetollwut noch nicht ausgerottet ist, und was es dafür braucht
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Winter, Jakob
One-Health-Region Vorpommern – Learnings aus der Entwicklung einer transdisziplinären Wissens- & Transferregion zur regionalen Gesundheitsförderung von Tieren, Menschen und der Umwelt
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Fleischmann, Larissa
Umstrittene Veterinärzäune: Politische Geographien der Tiergesundheit am Beispiel der Afrikanischen Schweinepest
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Eilenberger, Ute
Mainstreaming von One Health: praxisorientierten Werkzeuge, Plattformen und Ansätze zur Operationalisierung von One Health
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Thematische Session 7.4
Schulz, Katja & Rogoll, Lisa
One Health, Many Voices - Transdisziplinäre Forschung an den Schnittstellen von Tier, Mensch und Umwelt
Tiergesundheit ist weit mehr als die Kontrolle einzelner Krankheiten – sie ist ein Spiegel gesellschaftlicher Herausforderungen: von der globalen Bekämpfung der Tollwut über MRSA als gesellschaftliches Gesundheitsproblem bis hin zu Fragen der Biosicherheit, Machtverhältnisse und Mensch-Tier-Beziehungen. Die Session beleuchtet, wie partizipative und transdisziplinäre Forschung an den Schnittstellen von Tier, Mensch und Umwelt gesellschaftliche Relevanz entfaltet. Ausgehend von konkreten Projekten in der Epidemiologie und One Health soll diese Session verdeutlichen, wie Public-Health-Fragen durch Einbindung vielfältiger Perspektiven bearbeitet werden können – vom lokalen Stall bis zur globalen Tollwutbekämpfung. Dabei wirken partizipative Methoden als Brücke zwischen spezialisierter Wissenschaft und Gemeinwohl und leistet damit einen Beitrag für Demokratie, Resilienz und nachhaltige Transformation.
Mit Fachvorträgen aus Forschung und Praxis möchten wir gemeinsam mit dem Publikum diskutieren, wie partizipative und transdisziplinäre Lösungsansätze zum Umgang mit komplexen Herausforderungen im One Health Kontext beitragen können – jenseits klassischer Fächergrenzen und entlang realer Problemstellungen.
Die Session möchte Akteur:innen aus verschiedenen Fachbereichen der öffentlichen Gesundheit vernetzen, neue Perspektiven auf Tiergesundheit als gesellschaftliche Aufgabe eröffnen und den Austausch über Methoden, Herausforderungen und Wirkungen transdisziplinärer Forschung im Bereich fördern.
In unserer Session möchten wir mit einem kurzen einleitenden Vortrag den thematischen Rahmen setzen, gefolgt von vier vertiefenden Beiträgen, die unterschiedliche Facetten des Themas beleuchten. Besonders wichtig ist uns dabei die Vielfalt der Perspektiven: Wir laden Referent:innen aus verschiedenen Fachrichtungen ein, um die Komplexität und Transdisziplinarität von Mensch-Tier-Beziehungen und assoziierte Problemfelder aus unterschiedlichen Blickwinkeln darzustellen.
Im Anschluss an die Vorträge ist eine moderierte Podiumsdiskussion geplant, die den transdisziplinären Austausch zwischen den Referent:innen und dem Publikum fördert. Ziel ist es, nicht nur einen Perspektivwechsel anzuregen, sondern auch den Dialog zwischen Theorie und Praxis sowie zwischen unterschiedlichen disziplinären Herangehensweisen zu stärken. Sowohl Vortragende als auch Teilnehmende sollen dabei voneinander lernen und Impulse aus der jeweils anderen Perspektive gewinnen können.
Abstracts
Rogoll, Lisa & Schulz, Katja
Getting a Handle on Public Health – Lektionen aus der Choleraepidemie in London
Die Geschichte von Public Health ist geprägt von mutigen Entscheidungen und interdisziplinärer Zusammenarbeit. Ein bekanntes Beispiel ist Dr. John Snow, der 1854 den Zusammenhang zwischen verschmutztem Wasser und der Cholera in London nachwies. Die Entfernung des Pumpengriffs in der Broad Street gilt als symbolischer Moment epidemiologischer Erkenntnis.
Weniger bekannt, aber ebenso bedeutsam war Reverend Henry Whitehead, Gemeindepfarrer und anfänglicher Skeptiker. Durch sein lokales Wissen, das Vertrauen der Bevölkerung und seine Fähigkeit zur Vermittlung lieferte er entscheidende Hinweise zur Infektionsquelle und trug maßgeblich zur Akzeptanz der Maßnahmen bei.
Dieses Zusammenspiel von wissenschaftlicher Analyse und sozialer Einbettung zeigt die Bedeutung transdisziplinären Handelns in der öffentlichen Gesundheit. Erkenntnisse allein genügen nicht – es braucht auch Empathie, Kommunikation und Kontextsensibilität.
Unsere Session nimmt diesen Fall als Ausgangspunkt, um die Relevanz von Transdisziplinarität und One Health zu beleuchten. Zoonosen, Antibiotikaresistenzen und Ernährungssysteme zeigen: Gesundheit ist ein gemeinsames Gut, das sektor- und speziesübergreifendes Handeln erfordert.
„Getting a Handle on Public Health“ steht somit nicht nur für eine historische Maßnahme, sondern für die Notwendigkeit kollektiver Verantwortung im Sinne einer integrativen Public-Health-Praxis.
Gieser, Thorsten
Entangled Lives: Partizipative Prozesse in der Multispezies-Gegenwart
Die Bestimmung der heutigen Zeit als Anthropozän verweist darauf, dass Mensch-Tier-Beziehungen nicht nur komplex, sondern tief miteinander verflochten (entangled) sind. Dieser Vortrag nutzt den Entanglement-Begriff, um neue Wege partizipativer Forschung an den Schnittstellen von Tier, Mensch und Umwelt zu denken.
In Umwelt- und Gesundheitsprojekten ist Stakeholder-Partizipation Standard. Doch formalisierte Beteiligung – etwa durch Verbandsvertretungen – reduziert die Vielfalt menschlicher Betroffenheiten und relationaler Perspektiven. Demgegenüber bieten deliberative Bürgerräte wie das dänische Wolf Dialogue Project (2018–2021) eine alternative Form der Partizipation: Jenseits strategischer Lagerbildung entwickelten zufällig ausgewählte Bürger gemeinschaftliche Verantwortung und prägten so den nationalen Wolfsmanagementplan mit.
Auch Citizen Science-Projekte eröffnen neue partizipative Formen: Solche Projekte können Alltagswissen und lokale Expertise integrieren und zugleich langfristige Daten-generierung ermöglichen – aber sie werfen auch Fragen danach auf, wer die partizipierenden Bürger sind, welche Rolle Interessenverbände hierbei haben und inwiefern durch deren Einbindung Forschung politisiert werden kann.
Solche Ansätze zeigen: Partizipation ist nicht neutral, sondern selbst Teil der Mensch-Tier-Entaglements. Sie beeinflusst, wie wir Beziehungen wahrnehmen, welche Akteure wir einbeziehen und wie kollektive Verantwortung entsteht. Nur wenn wir diese sozioökologischen und politischen Verflechtungen ernst nehmen, kann Partizipation als situiertes, transdisziplinäres Verfahren neu gedacht werden.
Dürr, Salome
Warum die Hundetollwut noch nicht ausgerottet ist, und was es dafür braucht
Tollwut ist eine nahezu immer tödlich verlaufende Zoonose, die alle Säugetiere, einschließlich des Menschen, betreffen kann. Die Übertragung erfolgt meist durch den Biss infizierter Tiere, insbesondere Hunde, die aufgrund ihrer Nähe zum Menschen eine zentrale Rolle im Infektionsgeschehen einnehmen. Obwohl die Tollwut in Europa, Nord- und Südamerika weitgehend eliminiert wurde, sterben weltweit jährlich schätzungsweise 60.000 Menschen daran – in 99 % der Fälle infolge von Hundebissen in Afrika und Asien. Die anhaltende Prävalenz ist auf vielfältige sozio-politische, organisatorische und ressourcenbezogene Faktoren zurückzuführen. Ein zentrales Hindernis stellt der „Cycle of Neglect“ dar: Die unzureichende Erfassung von Fällen führt zur politischen Vernachlässigung der Krankheit. Die globale Initiative „Zero by 30“, getragen von WHO, WOAH und FAO, strebt die Eliminierung der humanen Hundetollwut bis 2030 an. Zentrale Voraussetzung ist eine flächendeckende Impfabdeckung von mindestens 70 % der Hundepopulation. Modellierungen zeigen, dass Massenimpfungen nicht nur epidemiologisch wirksam, sondern auch ökonomisch rentabel sind – mit einem Kosten-Break-even nach sechs Jahren. Eine gemeinsame interministeriale Finanzierung ist also bereits mittelfristig rentabel. Für eine erfolgreiche Umsetzung sind kontextspezifische, inter- und transdisziplinäre Ansätze unerlässlich. Der Vortrag stellt solche Ansätze vor und diskutiert Erfolgsfaktoren für nachhaltige Tollwutkontrolle.
Winter, Jakob
One-Health-Region Vorpommern – Learnings aus der Entwicklung einer transdisziplinären Wissens- & Transferregion zur regionalen Gesundheitsförderung von Tieren, Menschen und der Umwelt
Eine One-Health-Region ist ein Raum, in dem die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt in ihrer gegenseitigen Abhängigkeit bei wirtschaftlichen, politischen, sozialen und rechtlichen Entscheidungen berücksichtigt wird. Eine One-Health-Region fördert diese Gesundheit, indem sie interdisziplinäre Projekte auf regionaler Ebene initiiert. In Vorpommern wird seit 2022 eine One-Health-Region aufgebaut, welche Projekte zur transdisziplinären Untersuchung und zum Wissenstransfer zu antimikrobiellen Resistenzen, Zoonosen sowie Biodiversitätsförderung durchführt. Die Bearbeitung dieser Themenfelder bedarf eines multisektoriellen und interdisziplinären Ansatzes, um regionalen Impact zu erreichen. Große regionale Forschungseinrichtungen kooperieren hierfür mit Verwaltung Politik und Wirtschaft. Die Überwindung sektorieller und disziplinärer Silos stellt jedoch hohe Anforderungen an die Institutionen, Mitarbeiter*innen und die Region selbst. In diesem Vortrag stellen wir fünf Learnings vor, welche sich aus der Entwicklung der One-Health-Region Vorpommern im operativen Management der Initiative ergeben haben. Dies sind die Definition der Region als Grundlage für Bedarfsbestimmung und Projektentwicklung, die Analyse von Expertisen zur Rekrutierung von Fachpersonen, das Interessen- und Ressourcenmanagement, sowie der Aufbau einer One-Health-Community zur Verstetigung des One-Health-Gedankens und der Vernetzung von Expertisen. Auf die Bedeutung des Mindsets (Offenheit, holistisches Denken), der individuellen Wissens- und Erfahrungshorizonte (z.B. aus Wissenschaft und Transfer) sowie die Fähigkeit zur Kompromissfindung der Mitarbeiter*innen wird eingegangen.
Fleischmann, Larissa
Umstrittene Veterinärzäune: Politische Geographien der Tiergesundheit am Beispiel der Afrikanischen Schweinepest
Dieser Vortrag widmet sich den aktuellen Dynamiken und Herausforderungen in der Bekämpfung von Tierkrankheiten in Europa aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Epidemiologie von Viruskrankheiten, wie der Afrikanischen Schweinepest oder der Maul- und Klauenseuche, nicht nur von natürlichen Faktoren abhängig ist, sondern auch maßgeblich von Menschen mitbeeinflusst und getragen wird. Daher sind auch politische Rahmenbedingungen und gesellschaftliche Dynamiken von Relevanz, um ein vertieftes Verständnis über z.B. Ausbreitungsmuster zu erhalten. Eine Untersuchung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Tierkrankheiten und der Herstellung von Biosicherheit profitiert damit davon, unterschiedliche Akteur*innen, wie Jäger*innen, Landwirt*innen, Politiker*innen, Verwaltungsangestellte oder Anwohner*innen in die Untersuchung miteinzubeziehen. Hier ergeben sich Synergieeffekte zwischen Ansätzen der Partizipativen Epidemiologie und sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden. Im Rahmen dieses Vortrags werden Einblicke in ein aktuelles Forschungsprojekt gewährt, welches Methoden der qualitativen Sozialforschung einsetzt, um die Errichtung von Veterinärzäunen entlang nationaler Grenzen in Europa, wie sie jüngst beispielsweise im deutsch-polnischen Grenzraum zu beobachten war, kritisch zu begleiten. Hier zeigt sich ein interessantes Spannungsfeld, das gemeinsam mit dem Publikum diskutiert werden soll: Auf der einen Seite stehen epidemiologische Maßnahmen zur Bekämpfung von Tierkrankheiten und auf der anderen Seite politische Zielsetzungen und Trends im Umgang mit als „gefährlich“ eingestuften grenzüberschreitenden Bewegungen n Europa.
Eilenberger, Ute
Mainstreaming von One Health: praxisorientierten Werkzeuge, Plattformen und Ansätze zur Operationalisierung von One Health
Zu den Anforderungen an ein transdisziplinäres Vorgehen gehört es, Probleme in ihrer jeweiligen Komplexität zu erfassen und dabei angemessen vielfältige Sichtweisen in der der Wissensgesellschaft ebenso zu berücksichtigen wie partizipative Elemente. Holistische Gesundheitsansätze wie One Health, Planetary Health und One sustainable Health bemühen sich komplexe Probleme, die sich stark gegenseitig beeinflussen, aus verschiedenen Richtungen, transdisziplinär und evidenzbasiert anzugehen.
Das Sektorvorhaben One Health der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit hat u.a. die Aufgabe One Health Wissensmanagement und Kommunikation zu betreiben, dazu Werkzeuge zu entwickeln. Eine mit IUCN betriebene Plattform PANORAMA One Health for a healthy planet fördert Lösungen und Erfahrungen, die die Einführung des One Health-Ansatzes erleichtern. Die PANORAMA One Health-Community bietet Projekten weltweit die Möglichkeit One Health-Lösungen zu veröffentlichen oder sich über solche zu informieren. Die Lösungen auf der Plattform wurden seit Gründung über 920000 mal geöffnet.
Es gibt viele Werkzeuge um verschiede Aspekte von One Health umzusetzen. Bisher fehlte jedoch eine Zusammenstellung von Umsetzern für Umsetzer von One Health Projekten. Das Sektorvorhaben hat unter Einbeziehung von GIZ-Umsetzer*innen für Projektmanager*innen in und außerhalb der GIZ eine Umsetzungshilfe erstellt, den One Health Implementation Guide for Practitioners. Dieser ist ein gutes Beispiel für eine transdisziplinäre, partizipative Methodik im One Health Bereich. Es ist Hilfsmittel für Projektplaner und -manager, das Methoden, Praktiken und Erfahrungen aus One Health-Interventionen in mehreren Partnerländern zusammenfasst. Der Implementierungsleitfaden wurde von Experten der GIZ in enger Zusammenarbeit mit ihren weltweiten Partnern entwickelt. Er bietet Lösungen für gemeinsame Herausforderungen, die nicht innerhalb der Grenzen eines einzelnen Sektors bewältigt werden können. Die erstellten Module bilden die Grundlage. Weitere Themen sollen von der GIZ und den Partnerorganisationen hinzugefügt werden, und die Erfahrungen sektor-, länder- und institutionsübergreifend geteilt werden.
Ein Einblick in die Vielschichtigkeit der möglichen Herangehensweisen zur praktischen Umsetzung des One Health Ansatzes ist von grundlegender Bedeutung zum Mainstreaming von One Health. Systemische holistische Gesundheitsansätze sind wiederum nötig, um die dringenden komplexen Herausforderungen unserer Zeit zum Schutze des gesamten Planeten und seiner mikroskopisch kleinen und großen Bewohner nachhaltig und ergebnisorientiert angehen zu können. Vielfältige Lösungen aus verschieden Ländern, Disziplinen und von verschiedenen Akteuren können so von allen Interessierten eingesehen und zum Wohle aller verbreitet werden. Die Angabe der Kontaktpersonen dient zusätzlich der Vernetzung erfahrener mit weniger erfahrenen One Health Umsetzer*innen und ergänzen eine zusätzliche Informationsquelle.
