Leipziger KUBUS | Saal 1B
Zeit:
Freitag, 14.11.2025
13:30 – 15:00 Uhr
Thematische Session 7.2
Konflikte als Treiber und Bremser von Transformationsprozessen – Welchen Beitrag zum besseren Verständnis und zur Aushandlung von Transformationskonflikten können transdisziplinäre Forschungsansätze leisten?
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Vorträge
Rettschlag, Juliane
Wertkonflikte in der Transdisziplinären Forschung
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Fienitz, Meike
Mehr als Konfliktlösung: Potenziale transdisziplinärer Forschung bei der Entwicklung neuer Aushandlungsräume
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Haase, Annegret & Kaiser, Josef
Konflikte in urbanen Nachhaltigkeitstransformationen: Transdisziplinäre Erfahrungen aus dem Leipziger Superblocks-Projekt
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Rutjes, Henriette & Ayeh, Diana
Transdisziplinäre Zusammenarbeit als Minenfeld – Perspektiven sozialwissenschaftlicher Rohstoffforschung im Erzgebirge
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Kurz, Julia
Dis/Empowerment in Konflikt und Kooperation. Zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe in der transdisziplinären Technikentwicklung
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Kreß-Ludwig, Michael
Formate für demokratische Steuerung: Mediation und Transdisziplinarität in konflikthaften Transformationen
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Thematische Session 7.2
Haase, Annegret; Kaiser, Josef; Kurz, Julia; Rutjes, Henriette & Ayeh, Diana
Konflikte als Treiber und Bremser von Transformationsprozessen - Welchen Beitrag zum besseren Verständnis und zur Aushandlung von Transformationskonflikten können transdisziplinäre Forschungsansätze leisten?
Transformationsprozesse gehen stets mit Konflikten einher und werden von unterschiedlichen Interessen, Werten und Zielvorstellungen sowie bestehenden Ungleichheiten und Machtverhältnissen zwischen den beteiligten Akteuren geprägt. Die sozialwissenschaftliche Konfliktforschung blickt dabei auf eine lange Tradition zurück. Konflikte werden nicht nur als Hindernis, sondern auch als konstitutives Moment gesellschaftlichen Wandels verstanden – als notwendige Aushandlungsräume, in denen unterschiedliche Positionen sichtbar und verhandelbar werden.
Angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche wächst die Relevanz einer differenzierten Analyse solcher Konflikte. Gleichzeitig verändert sich auch die Rolle der Sozialwissenschaften selbst: Transdisziplinäre Forschungsansätze gewinnen an Bedeutung, etwa in Form von Reallaboren, die als wissenspolitisch positionierte Formate inzwischen institutionell und gesetzlich verankert sind. Auch Förderkriterien fordern zunehmend aktive transdisziplinäre Kooperation. Damit entstehen neue Räume, in denen sozialwissenschaftliche Forschung interaktiv und transformativ gestaltet wird – jedoch unter komplexen Bedingungen: Unterschiedliche Wissensbestände, Zielvorstellungen und Arbeitsweisen treffen aufeinander. Gerade bei der Analyse von Konflikten erfordert dies ein hohes Maß an Reflexivität.
Transdisziplinäre Ansätze bieten die Chance, sowohl den Charakter gesellschaftlicher Konflikte als auch deren produktive Bearbeitung besser zu verstehen – und damit zu gelingenden Transformationsprozessen beizutragen. Zugleich werden dabei Forschende auch zunehmend zu aktiveren Akteuren innerhalb des Konfliktgeschehens, was eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle unabdingbar macht. Verschärft wird diese Herausforderung durch eine wachsende Wissenschaftsskepsis bis hin zu offener Wissenschaftsfeindlichkeit. Zudem besteht die Gefahr, dass Sozialwissenschaftler*innen vorrangig als Akzeptanzbeschaffer*innen oder Konfliktlöser*innen verstanden werden – statt als Forschende in ergebnisoffenen Aushandlungsprozessen.
In dieser Session möchten wir diese Chancen und Herausforderungen transdisziplinärer Forschung im Kontext gesellschaftlicher Konflikte und Transformationen gemeinsam anhand eigener Erfahrungen reflektieren und diskutieren. Folgende Fragen leiten dabei die Session:
– Welchen Beitrag zum besseren Verständnis und zur Aushandlung von Transformationskonflikten können transdisziplinäre Forschungsansätze leisten und welche methodischen Ansätze sind besonders vielversprechend?
– Welche Rollen werden Sozialwissenschaftler*innen in diesen neuen Forschungskontexten zugeschrieben?
– Wie lässt sich mit Rollenerwartungen und Rollenkonflikten in transdisziplinären Settings konstruktiv umgehen?
Zunächst werden in drei bis vier kurzen Fachvorträgen sowie max. zwei Lightningtalks Erfahrungen aus konkreten Projekten geteilt. Es schließt sich eine 30-minütige Fishbowldiskussion entlang der Sessionleitfrage an.
Abstracts
Rettschlag, Juliane
Wertkonflikte in der Transdisziplinären Forschung
Werte und Normen prägen Ziele und Herangehensweisen an transdisziplinäres Forschen (Scholz 2017). In der Praxis transdisziplinärer Forschungsprojekte treffen dabei unweigerlich divergierende normative Orientierungen von (Co-)Forschenden aufeinander. Wie lassen sich diese normativen Spannungsfelder in a) der Transdisziplinären Forschung und b) in gesellschaftlichen Transformationskonflikten analytisch sinnvoll erfassen, c) in Beziehung setzen und welche praktischen Implikationen ergeben sich daraus?
Der Vortrag argumentiert, Wertkonflikte in der transdisziplinären Forschung als Ausdruck konkurrierender normativer Ordnungen um „Lebensformen“ (Jaeggi 2014) zu verstehen. Wird deren Analyse als integraler Bestandteil transdisziplinärer Forschung verstanden, können Wertekonflikte als „katalytische Elemente“ (Dietz et al. 2019) fungieren und zur Genese robusten normativen Orientierungs- und Legimitationswissens und somit Transformationswissens beitragen.
Allerdings werfen Wertkonflikte Probleme auf, die in der transdisziplinären Forschung noch wenig systematisiert sind (Siebenhüner 2018). In der sozialwissenschaftlichen Konfliktforschung als auch in der Ethik gelten Wertkonflikte als besonders herausfordernd (Willems 2016; Allegri 2023). Ausgehend davon stellt der Beitrag eine begriffliche Systematik zur Diskussion und leitet daraus methodologische Implikationen ab. Der Fachvortrag untersucht somit Transformationskonflikte aus einer ethisch-sozialphilosophischen Perspektive und erörtert Implikationen für die transdisziplinäre Forschung. Grundlage bildet ein Dissertationsprojekt mit Zwischenergebnissen einer noch laufenden teilnehmenden Beobachtung eines transdisziplinären Projekts zur Mobilitäts- und Verkehrswende.
Fienitz, Meike
Mehr als Konfliktlösung: Potenziale transdisziplinärer Forschung bei der Entwicklung neuer Aushandlungsräume
Partizipative und transdisziplinäre Ansätze finden im Kontext von Transformationskonflikten bislang vor allem Anwendung, um spezifische Konflikte zu analysieren und gemeinsam Lösungsstrategien für diese zu erarbeiten. Dieser Beitrag schlägt eine erweiterte Perspektive vor: Transdisziplinäre Ansätze können nicht nur bei der Bearbeitung konkreter Konflikte, sondern auch beim Aufbau der dafür notwendigen Räume und Institutionen eine zentrale Rolle spielen.
Ausgehend von einem Verständnis gesellschaftlicher Konflikte als konstitutive Elemente sozialen Wandels wird dargelegt, dass bestehende Aushandlungspraktiken dennoch immer wieder zu verhärteten, antagonistischen Konfliktdynamiken führen, die Wandel eher blockieren als ermöglichen. Empirische Ergebnisse belegen zudem, dass insbesondere die bestehenden Rahmenbedingungen einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung von Konfliktdynamiken haben. Oft fehlen passende Räume und Institutionen, die eine konstruktive – oder zumindest agonistische – Bearbeitung dieser Konflikte ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund kann transdisziplinäre Forschung einen entscheidenden Beitrag leisten. Nur gemeinsam mit regionalen Akteuren können bestehende Hürden für konstruktive Aushandlungsprozesse identifiziert und regionalspezifische Formate entwickelt, erprobt und verstetigt werden, die grundsätzlich und über Einzelfälle hinaus die Ausbildung und Anwendung neuer Praktiken der Konfliktbearbeitung auf regionaler Ebene ermöglichen. Der Vortrag illustriert dies anhand empirischer Fallbeispiele und gibt Impulse für die Weiterentwicklung transdisziplinärer Forschung zu Transformationskonflikten.
Haase, Annegret & Kaiser, Josef
Konflikte in urbanen Nachhaltigkeitstransformationen: Transdisziplinäre Erfahrungen aus dem Leipziger Superblocks-Projekt
Urbane Nachhaltigkeitstransformationen werden häufig von Konflikten der beteiligten und betroffenen Akteure begleitet. Beispiele hierfür sind Auseinandersetzungen über Maßnahmen zur Mobilitätswende oder den Ausbau blau-grüner Infrastrukturen, z. B. über die zukünftige Nutzung von Brachflächen oder die Entsiegelung von Straßenräumen, die zuvor beispielsweise als Parkplätze genutzt wurden. Dieser Beitrag stützt sich auf transdisziplinäre Forschungsaktivitäten zum Superblocks-Projekt in Leipzig. Die Leipziger Initiative, die sich durch das Superblocks-Projekt in Barcelona inspirieren ließ, zielte darauf ab, verkehrsberuhigte Bereiche zu schaffen und grüne Infrastrukturen zu stärken. Die Maßnahmen wurden in Zusammenarbeit zwischen lokaler Zivilgesellschaft, Stadtverwaltung, Politik und Wissenschaft geplant und umgesetzt. Auf diesem Wege konnten viele Maßnahmen erfolgreich umgesetzt werden, doch war diese Umsetzung zugleich von vielen Konflikten begleitet. Dabei zeigt sich ein komplexes Zusammenspiel zwischen den Konflikten im Vordergrund – den Auseinandersetzungen und Verhandlungen über konkrete Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Superblocks-Projekt – und den Konflikten im Hintergrund, die durch tief verwurzelte Probleme und breitere Metadebatten gekennzeichnet sind und mit den unterschiedlichen Identitäten, Werten und Überzeugungen der Beteiligten verflochten sind. Der Vortrag gibt einen Überblick über dieses komplexe Konfliktsetting und erfolgreiche Verhandlungsstrategien. Anschließend folgt eine kritische Reflexion der Rolle der beteiligten Forschenden im transdisziplinären Forschungsprozess sowie der Lernerfahrungen bezüglich der Chancen und Herausforderungen solcher Prozesse.
Rutjes, Henriette & Ayeh, Diana
Transdisziplinäre Zusammenarbeit als Minenfeld – Perspektiven sozialwissenschaftlicher Rohstoffforschung im Erzgebirge
Dass sozialwissenschaftliche Forschung zu Bergbau ein „Minenfeld“ sein kann, ist keineswegs eine neue Erkenntnis (Luning 2012). Auch im Erzgebirge wird von Sozialwissenschaftler*innen oft erwartet, für die gesellschaftliche Akzeptanz von Technologieentwicklungsprojekten zu sorgen, statt ergebnisoffen zu forschen.
Der Vortrag thematisiert die Selbst- und Fremdwahrnehmung sozialwissenschaftlicher Arbeit sowie tatsäche und mögliche Spannungsfelder transdisziplinärer Forschungssettings. Im Zuge von Rohstoffprojekten im Erzgebirge werden dabei drei miteinander verflochtene Konfliktebenen identifiziert: Erstens betrachteten technisch-naturwissenschaftlicher Projektpartner*innen öffentliche Debatten um Bergbauprojekte und (latente) ökologische Verteilungskonflikte mehrheitlich als Hindernis statt Chance für Nachhaltigkeitstransformationen (Scheidel et al. 2018). Im Zuge dessen, wird zweitens ein instrumentaler und depolitisierter Akzeptanzbegriff zur vermeintlichen Vermeidung von Konflikten zur Anwendung gebracht (Owen & Kemp 2012). Drittens kann dies wiederum zu Konflikten innerhalb transdisziplinärer Projektteams und in der Endkonsequenz zum faktischen Ausschluss sozialwissenschaftlicher Forschung führen.
Grenzen der „Akzeptanzforschung“ gemeinsam zu identifizieren und zu reflektieren, kann – so die Annahme – letztlich dabei helfen, transdisziplinäre Kooperationen für alle Beteiligten gewinnbringend(er) zu gestalten. Dies ist umso bedeutender, als dass im aktuellen politischen Diskurs die Umsetzung technologiezentrierter Nachhaltigkeitsprojekte als „dringlich“ betrachtet und gleichzeitig die Förderfähigkeit von Projekten immer mehr von transdisziplinären, anwendungsorientierten Forschungsdesigns abhängig gemacht wird.
Kurz, Julia
Dis/Empowerment in Konflikt und Kooperation. Zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe in der transdisziplinären Technikentwicklung
Transdisziplinäre Kooperation erscheint aufgrund der Heterogenität der Kooperationspartner besonders anspruchsvoll. Differente Erfahrungswelten, Wissenswertschätzungen und Fachsprachen sind bei Transformationsprozessen nur die offensichtlichen Heterogenitätsdimensionen, die Konflikte verursachen. Dennoch soll die Einbeziehung der Differenzen ein „besseres“ Ergebnis erzeugen können, unter der Voraussetzung, dass Kooperationen „auf Augenhöhe“ gestaltet werden (Themenschwerpunkt 2 PartWiss25). In diesem Beitrag wird ausgehend von der Idee „heterogener Kooperation“ (Strübing et al. 2004) am Beispiel des transdisziplinären Projektes „Visuell integrierte klinische Kooperation“, in dem Patientendaten in einem Kliniksetting durch Neurochirurgen, Computergraphiker und Soziolog*innen zugleich als alltagspraktisch unterstützend, innovativ und kooperativ relevant visualisiert werden sollten, untersucht, wie Augenhöhe hergestellt und immer wieder neu durchgesetzt werden kann. Kooperation auf Augenhöhe ist in meiner Definition von wechselseitigem Verstehen sowie gemeinschaftlicher Abwägung aller Interessen vor Entscheidungen getragen. Wenn Augenhöhe fehlt, verweist dies auf Machtasymmetrien, die durch Empowerment von Unterlegenen und Disempowerment von Überlegenen bearbeitet werden können. Diese Bearbeitung erfordert, so meine These, Handlungsrepertoires sozialwissenschaftlicher und politischer Natur. Mit Hilfe qualitativer und sozialwissenschaftlicher Forschung können wir uns einen Platz im Feld kreieren, das Heterogene verstehen und Reflexion ermöglichen. Politisch betrachtet geht es darum, Bündnisse mit heterogenen Partnern zu finden („Commitment“) und Einfluss durch Identifizierung und Nutzung von Machtstrukturen auszuüben – paradoxerweise für die Herstellung von Augenhöhe.
Kreß-Ludwig, Michael
Formate für demokratische Steuerung: Mediation und Transdisziplinarität in konflikthaften Transformationen
Gesellschaftliche Transformationsprozesse sind von Zielkonflikten, ungleichen Machtverhältnissen und wachsender Polarisierung geprägt. Transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung sucht nach Wegen, diese Konflikte nicht zu umschiffen, sondern produktiv zu bearbeiten. Mediation bietet hierfür bewährte Verfahren der strukturierten Verständigung – doch bislang wurden ihre Potenziale und Grenzen kaum systematisch mit transdisziplinären Ansätzen verbunden.
Der Beitrag reflektiert, wie durch die Verknüpfung beider Perspektiven neue Impulse für das demokratische Aushandeln von Konfliktfeldern entstehen können. Dabei stehen Fragen der Repräsentation, Legitimität und Rollenvielfalt im Mittelpunkt. Und auch welche Funktionen Forschende in konfliktiven Aushandlungsprozessen übernehmen – als Moderierende, Mitgestaltende oder Grenzgänger:innen zwischen Wissenschaft und Praxis?
Anhand des Projekts „Waldkonflikte“ und nicht projektbezogenenen Arbeiten wird gezeigt, wie mediativ-transdisziplinäre Formate wie Runde Tische zur Sichtbarmachung und Verhandlung divergierender Interessen beitragen – ohne Konflikte zu nivellieren. Gleichzeitig wird diskutiert, wie sich diese Formate von einer funktionalen Akzeptanzbeschaffung abgrenzen lassen und unter welchen Bedingungen sie demokratische Steuerungsfähigkeit stärken.
Der Beitrag schließt mit Überlegungen dazu, wie transdisziplinäre Forschung und Mediation sich gegenseitig ergänzen können – als unterschiedliche, aber kombinierbare Ansätze zur Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte in Transformationsprozessen.
