Leipziger KUBUS | Saal 2B
Zeit:
Donnerstag, 13.11.2025
16:00 – 17:30 Uhr
Thematische Session 5.2
Gescheitert, aber gescheiter – Ein „Fuck-Up-Café“ über den kreativen Umgang und dem Lernen aus Misserfolgen aus Praxisbeispielen der aktuellen Forschungsansätze in und mit der Gesellschaft
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Vorträge
von Wittenhorst zu Sonsfeld, Lisa & Beusker, Elisabeth
Eine Trinkflasche ist keine Partizipation – Lehren aus dem ersten Reallabor der Energiewende „SmartQuart“
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Hunger, Katharina
Erfahrungsbericht: wo Betroffene leben, aber Forschende nicht arbeiten – der falsche Ort zur Beteiligung?
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Diessner, Anne & Harms, Regina
Nur einen Fehltritt vom Erfolg entfernt: Reflexion als Schlüssel für effektive Wissenschaftskommunikation im Reallabor
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Kryst, Melanie & Gaasch, Nadin
„Forschung ist nunmal eine anstrengende Angelegenheit“ – Die Hierarchisierung von wissenschaftlichem und außer-wissenschaftlichem Wissen in der transdisziplinären Forschung
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Varney, Valérie; Müller, Larissa & Meilwes, Silke
„Das Projekt läuft super“ – Vom Schönreden, heimlichen Scheitern und verschenktem Potenzial öffentlich geförderter Projekte
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Lauterbach, Josephine; Haack, Michaela; Engelhardt, Helen & Häring, Anna Maria
Co-Design, Co-Creation, Co-Kommunikationsproblem – Verantwortungslücken im transdisziplinären Projektalltag
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Holtmann, Friederike; Varney, Valérie & Müller, Larissa
Scheitern erlaubt? Co-Kreative Evaluation verstehen
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Thematische Session 5.2
Rogga, Sebastian; Raich, Stefan & Laborgne, Pia
Gescheitert, aber gescheiter - Ein „Fuck-Up-Café“ über den kreativen Umgang und dem Lernen aus Misserfolgen aus Praxisbeispielen der aktuellen Forschungsansätze in und mit der Gesellschaft
Forschungsansätze, die in und mit der Gesellschaft forschen gelten als komplex und unter hohen Unsicherheitsbedingungen agierend. Da die meisten Forschungsansätze darüber hinaus den normativen Anspruch verfolgen, Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen zu erarbeiten, ist „das Scheitern“ ein elementarer Bestandteil davon. Dem Scheitern wird im akademischen Umfeld jedoch nur wenig Raum eingeräumt, da die Belohnungsmechanismen in der Wissenschaft auf die Kommunikation von Erfolg, also von „Success Stories“ ausgerichtet sind. Wir stellen dieses Framing in Frage, in dem wir auf die Rolle produktiver Kritik in den Wissenschaften eingehen und auf das enorme Potenzial für die Professionalisierung von Forschungsansätzen hinweisen, das sich im Lernen aus dem Scheitern von Projekten verbirgt. Aus der Präsentation von Erfahrungen des Scheiterns wird deutlich, in welchen Bereichen der Forschungspraxis Lernfortschritte möglich sind. Damit lässt sich ein holistisches Verständnis für diese Forschungsansätze fördern.
Die Session verfolgt das Ziel, den „Stories of Failure“ aus der Forschungspraxis Raum zu geben und aufzuzeigen, welche Rückschlüsse aus Sicht der „Betroffenen“, die von ihren Beispielen berichten, aus den Scheitererfahrungen gezogen worden sind. Die Session will aufzeigen, in welchen Handlungsfeldern und Prozessschritten die Scheitererfahrungen gemacht worden sind und welche Methoden dabei unterstützen können, das Scheitern zu reflektieren, darauf zu reagieren und daraus zu lernen. Beispiele dafür sind:
– Scheitern beim Anwenden von Methoden (etwa zur Integration von Wissensbeständen, Akteursgruppen etc.)
– Scheitern durch unzutreffende Vorannahmen bspw. bezüglich antizipierter Bedarfe, formulierter Ziele und anderer Voraussetzungen,
– Scheitern und Adaptieren infolge disruptiver Veränderungen des Experimentierraums,
– Scheitern durch und in der Zusammenarbeit mit spezifischen Akteursgruppen (insb. Akteure der Zivilgesellschaft, Politik, Verwaltung, u.a.),
– Scheitern im Zusammenhang mit der Anwendung bzw. Ausgestaltung spezifischer Forschungsformate (z.B. Reallabore, Living Labs, Citizen Science etc.)
– Scheitern und Lernen durch/aus „fehlerhaften Projektarchitekturen“ und der Projektgovernance.
– Scheitern durch „disfunktionale“ Managemententscheidungen bei der Steuerung von Forschungsprozessen
Abstracts
von Wittenhorst zu Sonsfeld, Lisa & Beusker, Elisabeth
Eine Trinkflasche ist keine Partizipation - Lehren aus dem ersten Reallabor der Energiewende „SmartQuart“
2020 startete SmartQuart als erstes Reallabor der Energiewende mit dem Anspruch, die Energiewende in drei strukturell unterschiedlichen Quartieren – vom ländlichen Wohngebiet über ein urbanes Mischquartier bis hin zu einem Gewerbegebiet im ländlichen Raum – real, transdisziplinär und partizipativ umzusetzen. Kommunen, Industrie, Wissenschaft und insbesondere die lokale Bevölkerung sollten gemeinsam neue Ansätze für eine klimaneutrale Zukunft erproben.
Neben technologischen und organisatorischen Fragen zeigte sich insbesondere die gesellschaftliche Partizipation als zentrale und häufig unterschätzte Herausforderung mit Konfliktpotential: Was bedeutet Partizipation eigentlich und für wen? Wie lässt sie sich im Kontext komplexer Technologieprojekte strukturell verankern? Und warum reicht es eben nicht, Bürgerinnen und Bürger mit Give-aways zu „beteiligen“?
Zum Projektabschluss wurden diese Fragen im Rahmen einer internen Konsortialbefragung systematisch reflektiert. Der Beitrag beleuchtet die Ergebnisse im Hinblick auf ein fehlendes gemeinsames Verständnis von Partizipation, eine unzureichende strukturelle Verankerung partizipativer Ansätze, Zielkonflikte zwischen Projektdynamik und Beteiligungsqualität sowie die oft unterschätzte Rolle kommunaler Behörden als Schlüsselakteure. Anhand der drei unterschiedlich Quartierstypen werden die Erkenntnisse kontextualisiert und um Best Practices sowie Lessons Learned partizipativer Forschung im Reallabor-Kontext ergänzt. Der Beitrag lädt zur Diskussion darüber ein, wie echte Teilhabe in der Praxis der Energiewende nicht nur gedacht, sondern auch strukturell und wirksam gestaltet werden kann
Hunger, Katharina
Erfahrungsbericht: wo Betroffene leben, aber Forschende nicht arbeiten - der falsche Ort zur Beteiligung?
Der Plan: Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft verhandeln gemeinsam über die Energiezukunft. In der „Zukunftswerkstatt Lausitz 2050“ sollte ein Austausch auf Augenhöhe gelingen – mit kreativen Methoden, Raum für Visionen, Entwicklung konkreter Maßnahmen und einem Forschungsprojekt im Hintergrund, welches die Region bewegt. Die Realität: trotz über 100 Einladungen blieben viele Stühle leer, vor allem jene, auf denen die kritischen und betroffenen Stimmen Platz nehmen sollten. In der Großstadt dominierten die Forschenden, in der Kleinstadt die Praktiker:innen. Echter Dialog? Fehlanzeige. Was blieb war, das Bedürfnis der Teilnehmenden zu wissen, was die Betroffenen wirklich denken und wie die Technikentwickler:innen wirklich Probleme lösen.
Der Workshop hat mich mit meinen eigenen Vorannahmen konfrontiert: Dass Beteiligung gewünscht sei. Dass bewährte Methoden wie die Zukunftswerkstatt auch in technikzentrierten Kontexten funktionieren. Dass Akteur:innen sich uneingeschränkt auf eine offene Aushandlung einlassen. Geblieben sind die ersten Erkenntnisse: Beteiligung muss mehr sein als methodische Verpackung. Wenn Methoden fremd sind, Wissensmacht ungleich verteilt ist und die Wirkung ungewiss, bleiben Skepsis und Resignation. Mir stellt sich nach der Durchführung des Workshops die Frage: Wie schaffen wir echte Aushandlung, wenn die Beteiligung ausbleibt?
Im Lightning-Talk reflektiere ich das methodische Vorgehen und freue mich über die Diskussion, ob das Format überhaupt echte Beteiligung ermöglicht hat.
Diessner, Anne & Harms, Regina
Nur einen Fehltritt vom Erfolg entfernt: Reflexion als Schlüssel für effektive Wissenschaftskommunikation im Reallabor
Für Reallabore als transdisziplinäre Forschungskontexte ist Wissenschaftskommunikation essenziell, da sie die Scientific Literacy der Zivilgesellschaft sowie deren Partizipation in transformativen Prozessen fördert. Gleichzeitig wirkt effektive Wissenschaftskommunikation Desinformation und pseudowissenschaftlichen Inhalten entgegen. Dennoch fühlen sich Forschende oft unzureichend qualifiziert für Wissenschaftskommunikation, erkennen deren Nutzen nicht oder befürchten sogar negative Auswirkungen. Kommunikationsteams in Reallaboren stehen daher vor der Herausforderung, Forschenden anderer Fachdisziplinen den Mehrwert von Wissenschaftskommunikation zu vermitteln, sie dafür zu motivieren und bei der Umsetzung zu unterstützen. Insofern stellt sich die Frage, wie das Spannungsverhältnis zwischen der ansprechenden Vermittlung von wissenschaftlichen Inhalten und der Sorge vor vermeintlicher Unwissenschaftlichkeit aufgelöst werden kann.
Ein Lösungsansatz besteht darin, dass das Kommunikationsteam die eigenen Aktivitäten – vom Merchandise über Social-Media-Inhalte bis hin zu größeren Veranstaltungen – systematisch und gründlich reflektiert. Wichtig ist dabei, Fehltritte als Lernerfolge zu begreifen und die Reflexion als positiven und bedeutenden Aspekt der eigenen Arbeit zu schätzen. Eine detaillierte Aufschlüsselung einzelner Kommunikationsmaßnahmen ermöglicht es, Abstand vom „Scheitern“ zu gewinnen und Fehler als Teil einer Reihe erfolgreicher Aktivitäten zu erkennen. Aus der Reflexion können wiederum nächste Schritte abgeleitet werden, etwa die Vermittlung erforderlicher Kompetenzen in Workshops. Gleichzeitig gewinnt der Prozess an Bedeutung, wenn aus den Lernerfahrungen Leitfäden für künftige Projekte entwickelt werden.
Kryst, Melanie & Gaasch, Nadin
„Forschung ist nunmal eine anstrengende Angelegenheit“ – Die Hierarchisierung von wissenschaftlichem und außer-wissenschaftlichem Wissen in der transdisziplinären Forschung
Ein zentrales Element transdisziplinärer Forschung ist die Integration unterschiedlicher Wissensarten. Das TD-Lab der Berlin University Alliance hat von 2021 bis 2025 in verschiedensten Austauschformaten die Co-Exploration von Forschungsthemen ermöglicht und dabei Herausforderungen der Wissensintegration beobachtet. Besonders für Forschende erweist sich die Anerkennung außerwissenschaftlichen Wissens als zentrale Hürde. Die disziplinären „Brillen“ und das standardisierte wissenschaftliche Referenzwissen folgt anderen Logiken als Erfahrungs- und Praxiswissen. Unsere Beobachtungen spiegeln sich auch in einer ex-post-Befragung (2025) der Teilnehmenden an unseren Formaten aus Wissenschaft und Praxis wider, die nach Outcomes und Wirkungen befragt wurden.
Ein zentrales Dilemma: Um echte Kollaboration auf Augenhöhe zu fördern, haben wir bewusst auf klassische wissenschaftliche Formate wie Vorträge oder Arbeitspapiere verzichtet und stattdessen niederschwellige Methoden eingesetzt – etwa Comic-Bilder, Improvisationsübungen, oder Kartenspiele. Dennoch wird Wissen, das sich jenseits vertrauter wissenschaftlicher Darstellungsformen bewegt, nicht immer als gleichwertig anerkannt. Kritische Stimmen vermissten etwa in kreativen Formaten wie einem Kartenset die nötige Ernsthaftigkeit: „Forschung ist nunmal eine anstrengende Angelegenheit“, so eine Teilnehmerin.
In unserem Beitrag präsentieren wir die Ergebnisse unserer Befragung und reflektieren das Spannungsfeld unterschiedlicher Anspruchshaltungen hinsichtlich Wissensdarstellung und -anerkennung.
Varney, Valérie; Müller, Larissa & Meilwes, Silke
"Das Projekt läuft super" - Vom Schönreden, heimlichen Scheitern und verschenktem Potenzial öffentlich geförderter Projekte
Öffentlich geförderte Reallaborprojekte gelten als vielversprechende Innovationsräume für nachhaltige Transformation. Doch hinter der Fassade positiver Projektnarrative verbirgt sich oft eine andere Realität: Projekte, die „super laufen“, scheitern nicht selten im Verborgenen. Erfolgsdruck, politischer Erwartungsdruck und kurze Förderzyklen fördern eine Kultur des Schönredens und verhindern transparente kritische Reflexion. Probleme wie mangelnde Zielklarheit, unzureichende Partizipation oder organisatorische Hürden werden aus Sorge vor Konsequenzen selten offen adressiert. Stattdessen entstehen Berichte, die Potenziale beschwören, ohne strukturelle Lernprozesse zu ermöglichen. Dieser Lightning Talk beleuchtet die Diskrepanz zwischen offizieller Darstellung und gelebter Praxis in Reallaborprojekten und fragt, wie ein konstruktiver Umgang mit Scheitern aussehen kann. Es plädiert für mehr Transparenz, ehrliche Evaluation und institutionelle Rahmenbedingungen, die Lernen aus Fehlern ermöglichen. Nur so können Reallabore ihr transformatives Potenzial wirklich entfalten – jenseits von Förderlogiken und oberflächlichem Erfolgsnarrativ.
Lauterbach, Josephine; Haack, Michaela; Engelhardt, Helen & Häring, Anna Maria
Co-Design, Co-Creation, Co-Kommunikationsproblem - Verantwortungslücken im transdisziplinären Projektalltag
Im Realexperiment CC4Regiofleisch kooperierten Unternehmen aus ökologischer Tierhaltung, Fleischverarbeitung sowie dem Groß- und Einzelhandel mit einem transdisziplinären Forschungsteam, um ein Click-&-Collect-System für regionales Bio-Fleisch aufzubauen. Ziel war es, Verbraucher*innen den Zugang zu ökologisch und regional erzeugten Produkten zu erleichtern und regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken.
Das System konnte sich jedoch nicht etablieren. Rückblickend zeigt sich eine zentrale Verantwortungslücke: die unzureichend geklärte Kommunikation an Endkund*innen. Diese zog sich durch mehrere Phasen der transdisziplinären Zusammenarbeit.
In der Co-Design-Phase thematisierten beteiligte Bio-Einzelhändler die Notwendigkeit professioneller Kundenkommunikation als Voraussetzung für den Systemerfolg. In der anschließenden Co-Creation-Phase verlagerte sich der Fokus jedoch stark auf die technische Umsetzung der Verkaufsplattform, wodurch das Thema Kommunikation weiter in den Hintergrund rückte. Obwohl die Lücke in der Co-Evaluationsphase erneut benannt wurde, fehlte ein iterativer Veränderungsprozess, um notwendige Anpassungen vorzunehmen – auch weil ein Partnerunternehmen einen Strategiewechsel vollzog und dadurch Unsicherheiten bei anderen Akteur*innen auslöste.
Das Realexperiment bietet folgende Lernerfahrungen für die Gestaltung transdisziplinärer Projekte mit Wirtschaftspartnern:
• Ergebnisoffene Co-Design-Phase mit systematischer Bedarfsanalyse und Diskussion der Konsequenzen für den weiteren Projektverlauf;
• Zentrale Koordination, die Bedarfe sichtbar macht und Verantwortung adressiert;
• Verständigung über Erwartungen und Verantwortlichkeiten aller beteiligten Akteure;
• Offene Kommunikation über Strategiewechsel und Unsicherheiten.
Holtmann, Friederike; Varney, Valérie & Müller, Larissa
Scheitern erlaubt? Co-Kreative Evaluation verstehen
Die meisten partizipativen und transdisziplinären Projekte streben an, auch den Evaluationsprozess partizipativ zu gestalten. Das bedeutet, dass Stakeholder aktiv und auf Augenhöhe frühzeitig in den Evaluationsprozess eingebunden werden sollen, um deren Perspektiven nicht nur in der Umsetzung, sondern auch in der Bewertung und Reflexion des Vorhabens zu berücksichtigen. Dies soll zu einem umfassenderen Verständnis des Evaluationsgegenstandes führen sowie die Akzeptanz und Nutzung der Evaluationsergebnisse erhöhen.
Der Einbezug von externen Akteuren in die Evaluation weist jedoch in der praktischen Umsetzung auch einige Hürden auf: Ein partizipativer Evaluationsprozess muss Kommunikationsbarrieren überwinden, Kritik an Wissenschaftler*innen als Expert*innen zulassen, Gegensätzlichkeit aushalten und erfordert Zugänglichkeit und Motivation der Akteure.
An Beispielen aus der Praxis soll das Scheitern an und Lernen durch partizipative Evaluationsansätze gezeigt werden. Dabei wird auf organisationale, individuelle und kontextspezifische Hürden, z.B. mangelnde Motivation zur Befragungsteilnahme, und Herausforderungen, wie das Eingehen auf unterschiedliche und wechselnde Akteursgruppen, eingegangen.
Scheitern zeigt sich vor allem aber auch als eine Chance, Evaluation neu zu denken, indem innovative Methoden kreativ entwickelt werden, die besser auf die Lebenswirklichkeit der Akteure abgestimmt sind. Die Evaluationsforschung kann hier methodisch von der Partizipationsforschung profitieren und damit Herausforderungen wie der Evaluationsmüdigkeit, die sich auch in anderen Bereichen zeigt, entgegentreten.
